Weihnachten im Krieg, mitten in Europa: Die Kämpfe im Osten der Ukraine dauern schon fünf Jahre an. Neue Eskalationen, wie das aktuelle Ringen zwischen der Ukraine und Russland um die Oberhoheit im Asowschen Meer, erregen öffentliches Interesse. Die quälenden Monate des Krieges dazwischen tun es nicht.
„Dabei sterben hier jeden Tag Menschen. Ich habe so viele Menschen sterben sehen“, erzählt Volodymyr Zavadsky gegenüber KIRCHE IN NOT. Der 42-Jährige ist seit 2016 als ehrenamtlicher Helfer des „Christlichen Rettungsdienstes“ in der Hafenstadt Mariupol tätig. Ein Jahr lang lebte er als ziviler Helfer mit den Soldaten direkt an der Front. Den Rosenkranz trägt er seither offen an der militärischen Schutzkleidung: „Das Gebet ist mein Halt.“ Jetzt organisiert er zusammen mit einem Team von Priestern und Ehrenamtlichen Hilfslieferungen in die Kampfzonen. Er veranstaltet Kinderfreizeiten, Katechesen, Andachten, besucht alte und kranke Menschen und wirkt als Seelsorger für Soldaten und Zivilbevölkerung.
Sein ganzer Stolz ist ein Zentrum für 65 Kinder, das seine Organisation als Ersatz für die geschlossenen Schulen aufgebaut hat. „Ihre Kindheit geht im Lärm der Granaten unter. Sie müssen sich oft in Kellern verstecken. Viele haben verlernt zu weinen, aber ihre Seele tut es.“ So ist Weihnachten in der Ostukraine auch in diesem Jahr ein Fest ohne Festtagsfreude. „Die Menschen wissen gar nicht mehr, was Feiertage sind. Die Angst ist allgegenwärtig.“[ /P]
Der Angst zum Trotz organisieren Volodymyr und seine Mitstreiter eine Weihnachtsfeier für Kinder und alleinstehende Menschen nahe der Stadt Donezk. „Wir beginnen mit einer heiligen Messe, dann gibt es ein Krippenspiel für die Kinder – und natürlich darf auch ein gemeinsames Essen nicht fehlen“, erzählt Volodymyr. Dann sei der Krieg für ein paar kurze Augenblicke vergessen. „Die Menschen setzen ihre Hoffnung allein auf Gott.“ Eine Hoffnung, die auch dem jungen Helfer Kraft gibt für seine Mission im Kriegsgebiet: „Ich hoffe, dass unser Einsatz eines Tages Früchte der Liebe und des Friedens bringt.“
„Weihnachten ist eine Zeit der Freude“, fasst Suzanna John (50) zusammen, was angesichts ihres Schicksals unglaublich klingt. Im Norden Nigerias sind die Kämpfer der islamistischen Terror-Einheit Boko Haram zwar weitgehend zurückgedrängt, aber die Folgen sind noch überall sichtbar – vor allem in den Schicksalen der Überlebenden.
So auch bei Suzanna John: 2015 überrannte Boko Haram ihr Heimatdorf. Ihr Mann wurde vor ihren Augen getötet, später auch zwei ihrer Söhne, als sie zu fliehen versuchten. Seit 2009 verloren über 20 000 Menschen durch den Terror ihr Leben, und über 1,8 Millionen wurden heimatlos. Auch Suzanna und ihre drei überlebenden Kinder gehören dazu.
„Zwei Wochen sind wir umhergeirrt, bis wir Maiduguri erreichten“, erzählt sie. An der dortigen Kathedrale St. Patrick fanden sie Aufnahme und werden seither durch das Bistum versorgt. Das Geld dafür stammt von KIRCHE IN NOT.
„Von der Kirche haben wir eine Unterkunft bekommen und ein wenig Startkapital, damit ich an der Straße Holzkohle verkaufen kann. So kann ich wenigstens ein bisschen Geld für den Lebensunterhalt meiner Familie verdienen.“ Da das zum Überleben nicht reicht, bekommen sie und ihre Kinder Lebensmittelpakete.
Auf ein bescheidenes Weihnachtsessen richten sich auch Suzannas Pläne in diesen Tagen: „Wenn ich ein bisschen Geld übrig habe, werde ich eine Extraportion Reis kaufen. Das wird unser Festmahl sein.“ Falls nicht, sei das aber auch nicht schlimm: „Wir kommen immer mit dem aus, was wir haben. An Weihnachten ist der geistliche Inhalt wichtiger.“ Deshalb gehen Suzanna und ihre Familie in die Weihnachtsgottesdienste, „so wie wir es jeden Sonntag tun“. Ihre Gebete bei der heiligen Messe richten sich auf das Überleben ihrer Familie, denn die Unsicherheit im Land hält an.
„Meine größte Hoffnung ist, dass wir eines Tages in unser Dorf zurückkehren können“, erzählt Suzanna. „Weihnachten ist das Fest des Friedens, und diesen Frieden brauchen die Menschen im Nordosten von Nigeria mehr denn je.“
Jorlette Jose Krer ist erst zwölf Jahre alt – hat aber bereits mehr hinter sich als mancher Erwachsener: den Tod des Vaters, eine Auswanderung und über sechs Jahre Kriegserlebnisse. Geboren wurde Jorlette in Venezuela. Doch als ihr Vater mit nur 49 Jahren starb, stand ihre Mutter, eine Syrerin, mittellos und ohne Unterstützung da.
Sie entschied sich 2012 notgedrungen zur Rückkehr in die Heimat, nach Aleppo. Doch dort tobte bereits der Krieg. „Ich konnte nie ohne Begleitung nach draußen oder Freunde treffen. Immer wieder gab es Schüsse und Granatenangriffe“, erzählt Jorlette. Ende 2016 endeten die erbitterten Kämpfe um Aleppo. Umso mehr genießt Jorlette jetzt jeden Hauch von Normalität, besonders an Weihnachten. „Ich gehe mit meiner Mutter und meiner älteren Schwester früh am Morgen in die heilige Messe. Am Nachmittag werde ich mich mit meinen Freundinnen in einem Café in der Innenstadt treffen und eine heiße Schokolade trinken. Ich habe sogar schon Geld dafür gespart“, erzählt sie.
Der Gabentisch unter dem Christbaum wird auch in diesem Jahr nur spärlich gedeckt sein. Doch das ist Jorlette nicht so wichtig: „Wir bekommen Hilfe von der Kirche. Dafür bin ich sehr dankbar.“ „Die Kirche” – das sind in Jorlettes Fall Schwester Annie Demerjian und ihre freiwilligen Helfer. KIRCHE IN NOT arbeitet seit vielen Jahren eng mit der Ordensfrau zusammen. Sie versorgt hunderte Familien in Aleppo. Das umfasst Mietbeihilfen, Lebensmittel, Medikamente und Unterstützung für die Stromversorgung.
Nach wie vor sitzen zahlreiche Familien in Aleppo im Dunkeln, denn die Infrastruktur ist weitgehend zerstört, und Stromgeneratoren sind teuer. Licht ins Dunkel gebracht haben die Kinder von Aleppo und anderen Städten Syriens zu Beginn des Advents: Über 50 000 Kinder entzündeten Kerzen, beteten für den Frieden und brachten ihre Zukunftsträume zum Ausdruck. Sogar Papst Franziskus schloss sich der Aktion an, die KIRCHE IN NOT ins Leben gerufen hat.
Auch Jorlette hat mit ihrer Schule daran teilgenommen. Sie hat auch schon eine klare Vorstellung von ihrer Zukunft: „Ich möchte Wissenschaftlerin werden und in einem Labor arbeiten. Ich will die Welt entdecken,“ – eine Welt, in der hoffentlich Frieden herrschen wird.
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