Ich traf Bischof Padovese zum ersten Mal am Fest Peter und Paul 2006, als ich für KIRCHE IN NOT deutsche Journalisten durch die Türkei begleitete. Der 29. Juni ist in Antakya für die Christen Wallfahrtstag und Volksfest. Auf dem Platz vor der Petersgrotte waren Gläubige und Priester mit Bischöfen aus der Türkei, Syrien und dem Libanon zu einem ökumenischen Gottesdienst versammelt. Vertreter staatlicher Behörden sprachen Grußworte, auch der Nuntius war aus Ankara gekommen.
Nach dem Gottesdienst am späten Nachmittag im Hof der katholischen Kirche nahm sich der Bischof Zeit für ein langes Gespräch mit den Journalisten und beeindruckte alle, wie er in gutem Deutsch eine Analyse der Lage der Kirche in der Türkei bot. Er war erst eineinhalb Jahre als Apostolischer Vikar und Bischof in Iskenderun, aber als Kirchenhistoriker und Patrologe seit Jahrzehnten mit der Kirche Kleinasiens verbunden.
1977 begann er seine Lehrtätigkeit in Patrologie und Theologiegeschichte am Theologischen Studium des Kapuzinerordens in Mailand, seit 1979 am Päpstlichen Institut für Auslandsmission (PIME). Seit 1995 war er ordentlicher Professor für Patrologie am Antonianum und auch Gastprofessor für die Geschichte der Spiritualität der Patristik an der Gregoriana. In seinem Orden bekleidete er verschiedene Aufgaben. Er war seit 1990 auch Präsident des Franziskanischen Institutes für Spiritualität und war seit 1982 bereits verantwortlich für die Publikationen dieses Institutes.
In der Zeit seiner akademischen Lehrtätigkeit entstanden zahlreiche Werke über die Theologie der Kirchenväter. Ich erwähne nur „Agostino di Ippona. Sermoni per i tempi Liturgici“ über die Predigten des hl. Augustinus zum Kirchenjahr oder „Das Problem der Politik in den ersten christlichen Gemeinschaften“, ferner „Gottsucher: Auf den Spuren der heidnischen, jüdischen und christlichen Aszeten der ersten Jahrhunderte“.
2005 erschien „Die Kirche, die Dir anvertraut ist. Missionspastoral in einer Welt des Wandels“. Er redigierte auch die über 20 Bände mit den Vorträgen der Symposien der Kapuziner in Tarsus und Ephesus und betreute die interkonfessionellen Symposien, die das Franziskanische Institut für Spiritualität zusammen mit der Theologischen Fakultät der orthodoxen Kirche Griechenlands an der Universität Thessaloniki veranstaltete. Weitere Werke sind: „Das Ärgernis des Kreuzes. Die antichristliche Polemik der ersten Jahrhunderte“ und eine Einführung in die patristische Theologie.
Ich erinnere mich noch gut an den 11. Oktober 2004, als ich mit einer Gruppe von Lehrern in der Kathedrale von Iskenderun auf den Bischof wartete, der im Gegensatz zu früheren Besuchen nicht pünktlich war. Als er erschien, entschuldigte er sich, dass er durch ein langes Gespräch mit Rom aufgehalten worden sei. Er teilte uns dann auch mit, dass er als Erzbischof nach Izmir gehen müsse.
Der 1939 in Saltino in der Provinz Modeno geborene Erzbischof Franceschini hatte am Seminar der Kapuziner in Parma gelehrt und war seit 1985 Oberer der Kustodie der Kapuziner in der Türkei. Seit 1993 war er Apostolischer Vikar von Anatolien. Er war bis 2008 Vorsitzender der türkischen Bischofskonferenz, ehe Bischof Padovese dieses Amt übernahm. In diesem Gremium sind alle Riten und Traditionen der Kirche der Türkei vertreten.
Mitglieder sind derzeit die beiden Erzbischöfe der katholischen Armenier und des lateinischen Erzbistums Izmir, die Apostolischen Vikare von Istanbul und Anatolien sowie die Patriarchalvikare der Chaldäisch-katholischen Kirche und der Syrisch-katholischen Kirche. Die Katholiken des syrischen Ritus hatten seit der Dezimierung ihrer Kirche 1915 in der Türkei keinen Bischof mehr, nur einen Patriarchalvikar, während die Chaldäer bis zum Tode von Paul Karataş 2005 noch einen Erzbischof hatten. Titel des Erzbistums ist Amida, das heutige Diyarbakir.
Noch vor wenigen Jahren hatte auch das Apostolische Exarchat Istanbul einen Vertreter in der Bischofskonferenz, doch ist die Zahl der katholischen Griechen des byzantinischen Ritus heute auf einige Dutzend Gläubige ohne Priester gesunken. Die Türkische Katholische Bischofskonferenz ist Mitglied im CCEE, der Rat der europäischen Bischofskonferenzen. (Consilium Conferentiarum Episcoporum Europae) und Gastmitglied der südosteuropäischen Bischofskonferenzen.
Als ich ihn noch einige Monate vor seinem Tode besuchte, hatte er alle Teilnehmer meiner Reisegruppe beeindruckt. Er hatte für uns am Nachmittag einen Gottesdienst zelebriert und dann über seine Arbeit in der Diaspora am Schwarzen Meer berichtet. Bischof Padovese benannte das Biblisch-Patristische Zentrum in Iskenderun nach ihm und bezeichnete ihn als Vorbild. Im Vorfeld des Papstbesuches in der Türkei 2006 lud Kirche in Not den Bischof zu einer Pressekonferenz ein, deren Aussagen die CD dokumentiert, die dieser Publikation beiliegt.
Bei seinem zweitägigen Aufenthalt in Berlin predigte er bei der Abendmesse, gab Interviews für Rundfunk- und Pressejournalisten und besuchte auch die Ausstellung „Erzwungene Wege“ des Zentrums gegen Vertreibung. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Frau Erika Steinbach, kam von einer Sitzung des Bundestages eigens in das Kronprinzenpalais, wo sich der Bischof besonders für die Teile der Ausstellung über die Vertreibungen der Armenier und Griechen, der Italiener aus Istrien und Dalmatien und für das Schicksal der vertriebenen Deutschen interessierte.
Er berichtete, er habe bei seinen Seelsorgsaushilfen in Deutschland immer wieder auch Vertriebene kennengelernt und gespürt, wie sie aus dem Glauben Kraft schöpften zur Versöhnung. Das schätzte er auch am Gründer des Werkes Kirche in Not/Ostpriesterhilfe. Ich hatte ihm bereits in Antakya das Buch „Sie nennen mich Speckpater“ gegeben und wir sprachen später oft über die Kräfte, die Versöhnung ermöglichen.
Das Beispiel der Predigt von Pater Werenfried im belgischen Vinckt erwähnte er mehrfach. Dort hatte die Wehrmacht 1940 alle Männer erschießen lassen. Zehn Jahre predigte Pater Werenfried in Vinckt und bat um Hilfe für die aus dem Osten vertriebenen Deutschen. Bischof Luigis Vision war, auch beizutragen zur Vergangenheitsbewältigung in der Türkei.
Nicht nur Bürgermeister und Pfarrer sprechen von „unserem Luigi“, auch viele Gläubige sind ein Jahr nach seiner Ermordung noch betroffen und trauern um ihn. Vielen war er als Seelsorger verbunden, da er Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen hielt. „Vielen war er durch seine herzliche und liebenswerte Art zu einem persönlichen Freund geworden“, schrieb Pfarrer Walter Ries im Pfarrbrief nach seinem Tode. Als Bischof machte der Verstorbene zwar keine Seelsorgsaushilfe mehr, aber er war immer wieder in seinem Stegaurach, wo er auch die Firmung spendete.
Als der türkische Premierminister Recep Tayyib Erdoğan den Christen des Landes eine Weihnachtsbotschaft sandte, erklärte der Bischof als Vorsitzender der Türkischen Bischofskonferenz dazu: „Die Regierung scheint sich endlich um uns zu kümmern. Daher denke ich, dass sich das Klima weiter positiv ändern wird. Die Schritte sind zwar relativ klein, aber es ist eine Frage der Zeit.“
Diese Zeit war Bischof Luigi nicht mehr geschenkt. 2008 bat ich ihn beim Internationalen Kongress um ein Geleitwort zu meinem Buch „Christen unterm Halbmond“. Er schrieb damals: „Was die heute nur noch wenigen in der Türkei verbliebenen Christen brauchen, ist die christliche Solidarität.“
Bei meinen Besuchen lernte ich auch Murat, den Mörder kennen, der mehr als vier Jahre Fahrer des Bischofs war. „Vielleicht war ich zu leichtsinnig“ titelte die Süddeutsche Zeitung über einem Bericht von Kai Strittmatter nach der Ermordung des Bischofs. Aber der Bischof hatte diese Aussage gemacht, als er erfuhr, dass er Bischof in Anatolien werden solle. „Ich komme zurück nach Hause“, sagte er damals auch, denn Anatolien als Wiege der Christenheit, als Land der Kirchenväter und der Konzilien war seine geistige Heimat.
Bei seinem Amtsantritt im November 2004 herrschte noch Ruhe, aber schon fünfzehn Monate später stand er unter Polizeischutz, als sein Priester Andrea Santoro in Trabzon erschossen worden war. Der türkische Leibwächter und Polizist in Zivil begleitete ihn ständig. Ich erlebte es aber, dass Bischof Luigi einmal den Polizisten zu seiner Familie nach Hause schickte, weil wir mit dem Bischof im Klosterhof saßen und mit ihm über die Lage der Christen diskutierten.
Nach über zwei Stunden lebhaften Gespräches beendeten wir offiziell die Runde. Er besprach mit mir noch einige historische Themen, auch die Rückgabe des syrisch-katholischen Gotteshauses in Iskenderun. Die Kirche war seit Jahren profaniert und geschändet, ja sie war sogar in den letzten Jahren als Pornokino genutzt worden. Nach Eingaben des Bischofs an Premier Erdogan wurde sie dem Vikariat zurückgegeben und auf Kosten des Staates restauriert.
Es war nach 22 Uhr, als mich der Bischof zu Besichtigung der Kirche einlud, da dort bis Mitternacht gearbeitet wurde, um mit der Wiederherstellung rechtzeitig fertig zu werden. Wir verließen das Kloster durch einen Seitenausgang. Der Bischof drückte unterwegs seine Sorge aus, was mit der Kirche geschehen könne. Er gäbe nur noch zwei syrisch-katholische Familien in Iskenderun. Die Kathedrale sei bereits fast zu groß für die wenigen Katholiken.
Beim Gang durch die nächtliche Stadt erkannten manche Passanten den Bischof und grüßten freundlich, ja ehrfürchtig. Wir lachten beide, als ein älterer Herr fragte, ob ich der neue Leibwächter sei. Auf der Baustelle der Kirche gab es ein freudiges Hallo, als die Arbeiter den Bischof sahen.
Bischof Luigi war nach den Worten des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick beim Requiem ein „Mensch des Friedens, der guten Beziehungen, des Evangeliums und als Mensch Jesu Christi“. Er war bemüht. Den interreligiösen Dialog fördern. „Die Türkei und die Türken waren ihm wichtig, er schätzte sie und hatte Hochachtung vor ihnen.“ Als Christen bleibt uns die Hoffnung, dass auch sein Tod durch Gott einen Sinn hatte.
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