Die Friedensnobelpreisträgerin und bisherige Regierungschefin Aung San Suu Kyi hatte mit ihrer Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen. San Suu Kyi und weitere führende Politiker wurden inhaftiert.
Die Streitkräfte haben einen einjährigen Ausnahmezustand über das südostasiatische Land verhängt. Anders als in der Vergangenheit wehrt sich das Volk gegen den Putsch. Viele Bürger Myanmars gehen auf die Straße; es wurde ein Generalstreik angekündigt.
Volker Niggewöhner: Frau Jacobi, was wissen Sie über die derzeitige Lage in Myanmar?
Angela Jacobi: Es sind wirklich nicht nur Zehntausende, es sind Hunderttausende von Menschen auf der Straße. Es ist das erste Mal, dass sich ganze Berufsgruppen wie Ärzte, Angestellte der Bahn oder des Flughafens diesem Protest angeschlossen haben – sogar Polizisten. Das ist für die Generäle gefährlich. Denn wenn die Polizei sich gegen die Armee wendet, dann könnte der Putsch unter Umständen kippen. Aber was sollen Menschen gegen Panzer ausrichten? Und die Panzer fahren jetzt überall auf.
Haben Sie auch jetzt noch Kontakt nach Myanmar? Es hieß ja, dass die Internetverbindungen unterbrochen sind.
Erstaunlicherweise habe ich immer noch Kontakt mit zwei Ordensmännern. Die Lage wäre „sehr, sehr ernst“, schrieben sie. Die letzte Nachricht erreichte mich aus dem Norden des Landes, wo es viele Flüchtlingslager und immer wieder Unruhen gibt. Darin hieß es: „Jetzt schießt die Armee auf unbewaffnete Menschen.“
Offizieller Anlass des Staatstreichs ist der vorgeworfene Wahlbetrug. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Das ist aus meiner Sicht ein vorgeschobener Grund. Und das schreibt auch Kardinal Bo in seiner Botschaft vom 3. Februar an die Konfliktparteien und die Weltöffentlichkeit. Es waren internationale Beobachter im Land, und man hätte dieses Problem sofort und umgehend besprechen können.
Die Wahl war am 8. November, und auf einmal am 1. Februar anzukommen und Wahlfälschung zu behaupten – das ist so durchsichtig, da braucht man gar nichts mehr darüber zu sagen.
Das Problem ist, dass die ganzen Rohstoff-Minen und vor allem die drei größten Industriekonglomerate des Landes sich in den Händen der Militärs befinden. Und die sehen wegen des erneuten klaren Wahlsiegs von Aung San Suu Kyi, dass ihnen die Felle davonschwimmen.
Welche Rolle spielt eigentlich der Nationalismus in Myanmar?
Der Nationalismus spielt leider eine große Rolle. Das sehe ich allein schon an der Tatsache, dass ultranationalistische Mönche bei dem Putsch eine größere Rolle gespielt haben, als ich mir das hätte vorstellen können. Ich habe schon während der Rohingya-Krise beobachtet, dass der große Wunsch und das Bestreben da ist, einen rein buddhistischen Staat aus Myanmar zu machen.
Gerade die katholische Kirche hatte in den Amtsantritt von Aung San Suu Kyi viele Hoffnungen gesetzt. Ist jetzt zu befürchten, dass die Christen vom Militär als „Kollaborateure“ gesehen werden?
Das ist durchaus möglich. Aung San Suu Kyi ist persönlich befreundet mit Kardinal Bo. Wenn man den Vorwurf, Aung San Suu Kyi hätte sich illegal sechs Funkgeräte beschafft, zum Anlass nimmt, sie einzusperren: Wie schnell fänden sich dann auch Gründe, Christen zu belangen für den Beistand, den sie den Demonstranten jetzt leisten, indem sie sie mit Lebensmitteln und Unterkunft versorgen?
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