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Irak: Christen weiterhin von Auslöschung bedroht

Irak: Christen weiterhin von Auslöschung bedroht

Studie von KIRCHE IN NOT fordert schnelles Handeln der internationalen Gemeinschaft

06.07.2020 aktuelles
Die christliche Bevölkerung im Irak könnte verglichen mit den Zahlen vor der Invasion des „Islamischen Staates“ (IS) in den kommenden Jahren um 80 Prozent zurückgehen, sollte die internationale Gemeinschaft keine Gegenmaßnahmen ergreifen.

 

Das ist einer der Hauptbefunde einer englischsprachigen Studie, die KIRCHE IN NOT veröffentlicht hat. Sie trägt den Titel „Leben nach dem IS: Neue Herausforderungen für das Christentum im Irak“ und bündelt mehrere Umfragen, die das Hilfswerk im Jahr 2019 unter Christen in der irakischen Ninive-Ebene durchgeführt hat.

Ein junger Iraker betet.
Die Gegend im Nordirak ist jahrhundertealtes christliches Siedlungsgebiet. Der IS hatte im Zuge seiner Eroberungen im Jahr 2014 auch die Ninive-Ebene okkupiert. Weit über 100 000 Christen waren damals geflohen.

 

Die Verfolgung der christlichen Minderheit wurde international als Völkermord eingestuft. Nach dem militärischen Sieg über den IS waren viele der vertriebenen Christen in ihre alte Heimat zurückgekehrt – mit durchaus zwiespältigen Gefühlen.

Titelbild der Studie über das Christentum im Irak. Diese ist auf Englisch erschienen. Sie können sie kostenlos herunterladen.
Wie die Studie offenlegt, gaben 100 Prozent der Befragten an, sich aktuell in der Ninive-Ebene unsicher zu fühlen; 87 Prozent sogar „spürbar“ oder „deutlich“ unsicher.

 

Hauptgründe seien gewalttätige Übergriffe lokaler Milizen sowie die Sorge vor einer Rückkehr der IS-Anhänger. Diese Bedrohung nennen 69 Prozent der befragten Christen als Hauptgrund, der sie über eine Auswanderung nachdenken lässt.

Dr. Andrzej Halemba, Projektreferent für die Länder des Nahen Ostens bei KIRCHE IN NOT (links), und Xavier Bisits, ein freiwilliger Helfer aus dem Irak, der die Befragung unter den Christen durchgeführt hat.
Die Christen in der Ninive-Ebene beklagen „Belästigungen und Einschüchterungen, oft in Verbindung mit Geldforderungen“ von Seiten der in der Region stationierten Milizen, so die Studie.

 

100 Prozent der Christen fühlen sich unsicher

Die größten dieser Gruppierungen sind die „Shabak-Miliz“ und die „Babylon-Brigade“. Da sie zum Sieg gegen den IS beigetragen haben, gibt ihnen die irakische Regierung weitgehende Handlungsfreiheit. Rund ein Viertel der befragten Christen berichtete, dass sie mit den Angehörigen einer Miliz oder einer anderen militärischen Gruppe bereits negative Erfahrungen gemacht habe.

Neben der mangelhaften Sicherheitslage nennen die Christen in der Studie als weitere Herausforderungen auch die schlechte wirtschaftliche Entwicklung (70 Prozent), Korruption (51 Prozent) sowie religiöse Diskriminierung (39 Prozent).

Dr. Andrzej Halemba (5. v. r.) zusammen mit Christen, die nach Bartella in der Ninive-Ebene zurückgekehrt sind. jede Familie erhält einen kleinen Olivenbaum. Er soll als ein Zeichen der Hoffnung wachsen.
„Der Bericht stellt eine klare und dringende Warnung dar“, erklärte der Leiter der Studie und Nahost-Referent von „Kirche in Not“, Dr. Andrzej Halemba. „Ohne abgestimmte und sofortige politische Aktion werden die Christen in der Ninive-Ebene und Umgebung ausgelöscht werden.“

 

„Klare und dringende Warnung“

Die bislang positive Entwicklung stehe auf dem Spiel: „Heute sind 45 Prozent der christlichen Familien wieder in ihrer alten Heimat, auch wenn teilweise nur einzelne Mitglieder zurückkehren konnten und viele Familien nach wie vor getrennt sind“, erklärte Halemba.

In einer ersten Befragung von KIRCHE IN NOT im Jahr 2016 hatten nur 3,3 Prozent der vertriebenen Christen die Hoffnung geäußert, wieder in ihre Städte und Dörfer in der Ninive-Ebene zurückkehren zu können.

Zerstörte Kirche St. Kiryakos in Batnaya. Sie soll wieder aufgebaut werden.
„Dass dieser Trend umgekehrt werden konnte, ist auf den langfristigen Wiederaufbauplan für die Ninive-Ebene zurückzuführen. Dieser Erfolg ist jetzt in Gefahr, wenn nicht bald etwas geschieht“, erklärte Halemba.

 

Umfangreicher Wiederaufbau in der Ninive-Ebene

Zusammen mit anderen Organisationen und lokalen christlichen Kirchen hatte KIRCHE IN NOT 2017 den Wiederaufbau gestartet. Seither konnten über ein Drittel der zerstörten Häuser in sechs Städten und Dörfern der Ninive-Ebene instand gesetzt werden.

Das Aufbauprojekt geht nun in eine neue Phase: Auch rund 400 kirchliche Einrichtungen wie Kirchen, Gemeindehäuser und Kindergärten werden wieder aufgebaut. So sollen die karitative und pastorale Arbeit der Kirche gestärkt und weitere Anreize für den Verbleib der Christen gesetzt werden.

Father Georges Jahola koordiniert den Wiederaufbau in Baghdeda (Karakosch), der Stadt mit den meisten Christen in der Ninive-Ebene.
„Die Christen haben das Gefühl, an einem Wendepunkt zu stehen, was die Möglichkeiten für Bleiben angeht“, erklärte Halemba. Auf lokaler Ebene könne dies nicht allein bewältigt werden: „Es gibt Pläne und Initiativen, die bei einer regionalen, nationalen und internationalen Zusammenarbeit nicht nur durchführbar, sondern auch nachhaltig wären.“

 

„Christen müssen auch auf politischer Ebene vertreten sein”

Neben Maßnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, müssten Christen auch auf politischer Ebene dauerhaft vertreten sein, „um die Verteidigung ihrer grundlegenden Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Gleichbehandlung als irakische Staatsbürger“ zu gewährleisten, so der Nahost-Referent.

Ordensschwester mit Kindern in Baghdeda (Karakosch). Sie wachsen in einer Stadt in Trümmern auf und können im Kindergarten einfach mal Kind sein und spielen.
Die aktuelle Studie sei ein Weckruf an Christen und Politiker in aller Welt, erklärte auch Florian Ripka, der Geschäftsführer von KIRCHE IN NOT Deutschland: „Wir haben alles uns Mögliche getan und werden mit Unterstützung unserer Wohltäter weiterhin alles tun, um die die christliche Präsenz im Irak zu erhalten.

 

Aber den Christen und anderen Minderheiten Sicherheit und Gleichberechtigung zu geben, liegt nicht allein in unserer Hand. Jede Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, muss jetzt genutzt werden. Zukünftige Generationen sollten uns niemals vorhalten dürfen: Ihr habt zu wenig getan und zu spät gehandelt.“

Kinder in der Ninive-Ebene mit einem Soldaten einer Sicherheitsmiliz.
Um den Christen in der Ninive-Ebene weiterhin beistehen und den Wiederaufbau sowie die pastorale und karitative Betreuung der Bevölkerung weiterhin unterstützen zu können, bitten wir um Spenden – entweder online oder auf folgendes Konto:

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München

IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05

Verwendungszweck: Irak

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