Florian Ripka, Geschäftsführer von KIRCHE IN NOT Deutschland, zieht aus diesem Anlass Bilanz zu Brennpunkten der Verfolgung, dem Einsatz für Religionsfreiheit, aber auch zu Lichtblicken und geleisteten Hilfen. Die Fragen stellte Tobias Lehner.
Herr Ripka, KIRCHE IN NOT hat 2019 als eines der „blutigsten Jahre für Christen“ geschildert. Hat sich diese Situation 2020 weiter verschärft?Corona und die Folgen haben mancherorts das geschwächte Menschenrecht auf Religionsfreiheit noch weiter „infiziert“. Viele bedrängte Christen haben in dieser Zeit ein „unblutiges Martyrium“ durchlitten – zunehmende Perspektivlosigkeit und Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung. Zu diesem unblutigen Martyrium kommen aber auch tödliche Übergriffe an Christen hinzu. Vor allem Afrika ist 2020 erneut zu einem Kontinent der Märtyrer geworden.
Um welche Weltregion machen Sie sich bei KIRCHE IN NOT derzeit am meisten Sorgen?
Dramatisch ist die Lage in den Ländern der afrikanischen Sahelzone, wie zum Beispiel in Burkina Faso. Dort lief das Zusammenleben zwischen den Christen und Muslimen weitgehend reibungsfrei. Seit einigen Jahren ist dieses Gleichgewicht gestört. Islamistische Söldner aus dem Ausland fallen in die Länder ein, verüben einen Anschlag nach dem anderen.
Katastrophal ist die Lage aber auch in anderen afrikanischen Regionen. In Mosambik, wo die Provinz Cabo Delgado von Terroristen überrannt wird, suchen hunderttausende Menschen Zuflucht in der Provinzhauptstadt Pemba. Wenn auch andere Organisationen aus Sicherheitsgründen ihre Mitarbeiter abziehen: Die Kirche ist da und sorgt sich um die Menschen.
Ein Fokus der Hilfe von KIRCHE IN NOT lag in den vergangenen Jahren auf dem Nahen Osten. Die Eroberungszüge des IS in der Region scheinen vorbei, in Syrien schweigen in weiten Teilen des Landes die Waffen. Ist das ein Hoffnungszeichen für die Christen dort?
Ja, es gibt hoffnungsvolle Signale aus dem Nahen Osten: In der Ninive-Ebene im Irak sind gut die Hälfte der christlichen Familien in ihre Dörfer zurückgekehrt. Auch in Syrien wird wiederaufgebaut. Nun kommt das große Aber: Viele Christen fühlen sich nach wie vor unsicher und verlassen ihre Heimat. Hinzu kommen Inflation und die Sanktionen des Auslands, die selbst alltägliche Güter unerschwinglich machen.
Und auch die Gefahr des Dschihadismus ist nicht gebannt; die politische Lage ist unsicher. Hinzu kommt die Politik-, Wirtschafts- und Bankenkrise im Libanon. Über dieses Land liefen zahlreiche Hilfen für Syrien oder den Irak. Und nun ist der Libanon durch die Explosion von Beirut noch weiter in die Katastrophe gerutscht.
Der Libanon hat die größte christliche Gemeinde im Nahen Osten. Auch hier stehen gerade die jungen Menschen vor der Entscheidung: gehen oder bleiben? Helfen wir nicht, ist das Schicksal der jahrtausendealten christlichen Präsenz besiegelt.
In einem Bericht von KIRCHE IN NOT zur Lage der verfolgten Christen steht: „Asien droht der neue Brennpunkt der Christenverfolgung zu werden.“ Was bedeutet das konkret?
Der dschihadistische Terror frisst sich auch in Ländern wie Sri Lanka oder auf den Südphilippinen immer weiter vorwärts. Aber auch nationalistische Bewegungen und autoritäre Regierungssysteme machen im asiatischen Raum vielen Christen das Leben schwer. Für beide ist das Christentum ein schädlicher Einfluss aus dem Ausland, der Vorherrschaften zu untergraben droht im einen Fall der herrschenden Partei oder Klasse, im anderen die vermeintliche religiöse Geschlossenheit der Nation
Eine weitere Entwicklung in Pakistan macht uns Sorge: Menschenrechtsorganisationen zufolge werden jährlich rund 1000 christliche und hinduistische Mädchen verschleppt, zwangsverheiratet und zur Konversion gezwungen.
KIRCHE IN NOT unterstützt die Familien, die juristisch gegen solche Taten vorgehen. Und das hat auch Erfolg wie der jüngste Fall der 13-jährigen Katholikin Arzoo Raja zeigt: Sie wurde nach richterlicher Anordnung aus den Fängen ihres Entführers befreit. Auch die pakistanische Regierung hat sich in diesen und weitere Fälle eingeschaltet. Das ist ein gutes und hoffnungsvolles Signal.
Bei den jüngsten Unruhen in Chile handelt es sich um fanatisierte Gruppen, die das Recht auf Demonstration missbrauchen, um gegen das vorzugehen, was anderen Menschen heilig ist. Nichts rechtfertigt Angriffe auf Kirchen oder gegen den Glauben, um soziale, ethnische oder wirtschaftliche Gerechtigkeit zu verteidigen.
Wir bei KIRCHE IN NOT haben das Gefühl, dass Christen in Europa heutzutage einem radikalen und tiefgehenden Angriff ausgesetzt sind, der sich an zwei Fronten vollzieht: die eine will die christlichen Wurzeln zerstören und eine rein individualistische Gesellschaft ohne Gott schaffen.
Die zweite Entwicklung haben wir in Nizza und Wien einmal mehr erlebt: Sie besteht in dem Versuch, einzelne Menschen zu radikalisieren und ein fundamentalistisches System durchzusetzen, indem sie Terror und Gewalt sät und den Namen Gottes und die Religion missbraucht.
Wir müssen auf diese Entwicklungen eine christliche Antwort geben. Und die kann nicht in Aggression oder dem Aufhetzen von religiösen Gruppen bestehen. Wir erleben bei unseren Projektpartnern in 140 Ländern, dass gelebte Nächstenliebe und geistliche Nähe viel mehr erreichen.
– Faltblatt „Christenverfolgung heute” kostenlos bestellen
– Ein besonderer Jahresbegleiter: Kalender der Märtyrer und Zeugen der Liebe
– Prayerbox „Beten für verfolgte Christen”
– Bericht „Verfolgt und vergessen?” – Illustrierte Bericht zum Thema Christenverfolgung
– Studie zum Christentum im Irak
– Wanderausstellung „Verfolgte Christen weltweit”
– Mediathek von KIRCHE IN NOT
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