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Bosnien und Herzegowina: „Katholiken werden in jeder Hinsicht benachteiligt“

Bosnien und Herzegowina: „Katholiken werden in jeder Hinsicht benachteiligt“

Früherer Erzbischof von Sarajewo zieht Bilanz

19.04.2022 aktuelles
Es ist das Ende einer Ära: 31 Jahre lang war Vinko Kardinal Puljić Erzbischof von Vrhbosna mit Sitz in Sarajewo. Ende Januar ist er in Ruhestand gegangen. In seine Amtszeit fielen der Bosnienkrieg und die schwierigen Aufbaujahre danach.

 

Im Interview mit Volker Niggewöhner (KIRCHE IN NOT) spricht der Kardinal über die anhaltenden Spannungen und die Benachteiligung der katholischen Minderheit in Bosnien und Herzegowina.

Kardinal Puljic mit jungen Erwachsenen.
Volker Niggewöhner: Herr Kardinal, Sie wurden Ende 1990 zum Erzbischof von Vrhbosna (Sarajewo) ernannt. Haben Sie damals bereits geahnt, welche schweren Zeiten den Menschen im ehemaligen Jugoslawien bevorstehen?
Vinko Kardinal Puljić: Ich hatte es damals nicht geahnt, obwohl mir klar war, dass der Übergang vom Kommunismus zu einem demokratischen System nicht einfach sein wird. Als mich Papst Johannes Paul II. verpflichtet hatte, diesen Dienst anzunehmen, hatte er gesagt, dass schwere Zeiten auf uns zukommen werden. Ich erinnere mich ganz gut an seine Worte bei meiner Bischofsweihe: „Sei mutig, die Kirche sendet dich, du gehst nicht in deinem eigenen Namen!“

 

„Sei mutig, die Kirche sendet dich!”

Die ersten Jahre Ihres bischöflichen Dienstes waren durch den Krieg geprägt, der im April 1992 begann. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Als der Krieg ausbrach und ich die Nachrichten bekam von den Zerstörungen und Vertreibungen, fühlte ich mich wie Hiob. Ich habe zu viel Blut gesehen, so viele Tote und Verletzte, so viel Schmerz erlitten. So oft bin ich selbst in Gefahr gewesen. Ich wurde damals gefragt, ob ich Angst habe. Meine Antwort: Auch ich bin nur ein Mensch, aber die Liebe, die mich trägt und führt, um die Menschen zu ermutigen und zu trösten, ist viel stärker.

Blick auf Sarajewo, die Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina. Die Moschee im Vordergrund wurde von der indonesischen Regierung finanziert.
Ein Krieg hinterlässt immer Wunden in den Seelen der Betroffenen. Was haben Sie als Kirche unternommen, um Frieden und Versöhnung zu stiften?
Während des Krieges hat die Kirche versucht, den Menschen beim Überleben zu helfen. Die Hilfe wurde immer unabhängig von der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit verteilt. Wir haben auch schon während des Krieges versucht, den Weg des interreligiösen Dialogs einzuschlagen; nach dem Krieg haben wir einen „Interreligiösen Rat“ gegründet, in dem wir einen Geist des Dialogs und des Friedens pflegen.

 

„Interreligiöser Rat im Geist des Dialogs und Friedens”

Das Abkommen von Dayton beendete 1995 nach dreieinhalb Jahren den Krieg in Bosnien und Herzegowina. Wie blicken Sie auf die Entwicklung seither?
Das Abkommen hat dem Krieg ein Ende gesetzt, aber leider brachte es keinen gerechten Frieden. Es war ein großer Fehler der Weltgemeinschaft, unser Land Bosnien und Herzegowina in zwei Teile zu spalten. Damit haben die Mächtigen die ethnischen Säuberungen legalisiert. Sie haben eine staatliche Struktur geschaffen, die nicht funktionieren kann.

Vinko Kardinal Puljic mit Priestern.
Die Bestimmungen des Friedensvertrages von Dayton, die unter anderem auch die Unterstützung von rückkehrwilligen katholischen Flüchtlingen vorsah, sind bis heute nicht umgesetzt. Warum nicht?
Das Geld, das als Unterstützung für die Rückkehr der Flüchtlinge geschickt wurde, gelangte nicht in die Hände der Menschen. Es kam in die Hände der Regierung, die nicht viel für die Rückkehr getan hat.

 

„Hier gilt nicht: gleiches Recht für alle”

Sie haben immer wieder einen „verborgenen Exodus“ der Christen aus Bosnien und Herzegowina beklagt, der bis heute anhält. Was sind die Gründe dafür?
Zuerst sind es wirtschaftliche Gründe, dass die Menschen aus dem Land gehen. Ich denke aber, dass das Unrecht und die Ungerechtigkeit eine noch größere Rolle spielen. Hier gilt nicht: gleiches Recht für alle.

Das politische Spiel mit dem Wahlrecht zum Beispiel hat die Menschen müde gemacht: Die Kroaten, die in Bosnien und Herzegowina fast alle katholisch sind, bilden die kleinste ethnische Gruppe der gesamten Bevölkerung im Lande, etwa 17 Prozent. Bei den Wahlen aber wählen die muslimischen Bosniaken Vertreter für die kroatische Bevölkerung in die Regierung. Diese Tatsache wird den Exodus bei den Katholiken weiter vorantreiben.

Jugendlicher aus Sarajewo bekennt sich zu seinem Glauben (Vjerujem heißt: Ich glaube).
Gibt es weitere Benachteiligungen für Katholiken?
Benachteiligungen gibt es sowohl vor dem Gesetz als auch in der Öffentlichkeit. Wenn sich jemand darüber beschwert, wird er sofort in Medien und auch in der Politik angegriffen.

 

Wie beurteilen Sie die Zukunft der katholischen Kirche in Bosnien und Herzegowina?
Die katholische Kirche in Bosnien und Herzegowina hat in ihrer Geschichte sehr schwierige Zeiten überstanden, vor allem das kommunistische Regime. Ich glaube, sie hat immer noch die Kraft, auch die aktuell schwierigen Zeiten zu überstehen. Unsere Wurzeln sind hier so tief, dass sie nicht leicht ausgerottet werden können.

Papst Franziskus besucht das Jugendpastoralzentrum in Sarajewo, dessen Bau von KIRCHE IN NOT unterstützt wurde.
Sie sind ein langjähriger Projektpartner von KIRCHE IN NOT. Wie haben Sie in den vergangenen 31 Jahren die Zusammenarbeit erlebt?
Wir mussten hier nach dem Krieg viele zerstörte Kirchen und andere Gebäude wieder aufbauen. Da der Staat den Wiederaufbau von Kirchen nicht unterstützt hat, war die Hilfe, die wir von KIRCHE IN NOT erhielten, für uns von großer Bedeutung.

 

Besonders dankbar sind wir auch für die Unterstützung einiger pastoralen Aktivitäten, wie der Synode in unserer Erzdiözese. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um allen Wohltätern meinen herzlichen Dank auszusprechen. Werden Sie nicht müde, das Gute zu tun!

Unterstützen Sie das pastorale Leben und den karitativen Einsatz der katholischen Minderheit in Bosnien und Herzegowina mit Ihrer Spende – online oder auf folgendes Konto:

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München

IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05

Verwendungszweck: Bosnien und Herzegowina

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