„Die Menschen in Tigray haben die Hölle erlebt: Es gab Gruppenvergewaltigungen und Morde vor den Augen der Familien. Mehr als eine Million Menschen wurden getötet. Es fanden Folter und Massaker statt“, sagte der Bischof, dessen Diözese die gesamte Region Tigray im Norden Äthiopiens an der Grenze zu Eritrea umfasst.
Während des Konflikts, der 2020 seinen Anfang nahm und im November 2022 durch ein Friedensabkommen offiziell beendet wurde, sei die Region vollständig abgeriegelt gewesen; auch Hilfslieferungen seien nicht durchgekommen, berichtete Medhin: „Wir waren völlig abgeschnitten. Internet und Telefon haben nicht funktioniert, wir konnten das Haus nicht mehr verlassen.“
Ein „wahrer Albtraum“ sei es gewesen, nicht zu wissen, was mit den Menschen seiner Diözese geschehe, erklärte der Bischof. Dennoch habe er bereits während des Krieges in seiner Bischofsstadt Adigrat ein medizinisches Zentrum aufgebaut. Menschen konnten sich dort vertraulich behandeln lassen. „Wir Katholiken machen nur ein Prozent der sieben Millionen Einwohner Tigrays aus, aber aufgrund des Einsatzes im Gesundheits- und Bildungsbereich haben wir für 25 Prozent der Bevölkerung große Bedeutung“, betonte Medhin.
Die äthiopisch-katholische Diözese führt für diese Menschen spezielle Kurse durch, die neben der psychologischen Hilfe auch pastorale Aspekte umfassen, wie der Bischof erklärte: „Ein Bewältigung der traumatischen Erfahrungen ist nicht möglich, ohne sich dem Geschehenen zu stellen. Es muss aber auch die geistliche Dimension berücksichtigt werden. Darum sind unsere Programme biblisch gestützt und werden geistlich begleitet.“ KIRCHE IN NOT wird diese Traumabehandlungen zukünftig finanziell unterstützen.
In Adrigat hielten sich noch immer 50 000 vertriebene Menschen auf, die nicht in ihre Heimatorte zurückkehren könnten, schilderte Medhin die aktuelle Situation. Die Straßen seien unsicher, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Tausende Menschen in der Region würden weiterhin durch Gewalt, Nahrungsmittelknappheit und eine mangelnde medizinische Versorgung sterben, beklagte der Bischof: „Wie kann die Welt da einfach nur zuschauen?“
Äthiopien ist mit rund 110 Millionen Einwohnern aus über 80 Ethnien einer der bevölkerungsreichsten Staaten Afrikas. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung gehören der äthiopisch-orthodoxen Kirche an. Während der Kämpfe wurden vereinzelt auch Übergriffe auf Kirchen und Klöster gemeldet. Die Gewalt war jedoch nicht religiös, sondern politisch motiviert.
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