Nur wenige Bruchstücke der Säule sind erhalten; etliche Teile liegen in der nahen Moldau. Erst 1990, also nach der Samtenen Revolution, wurde eine „Gesellschaft für die Wiedererrichtung der Mariensäule“ gegründet. Am 75. Jahrestag des Sturzes der Säule ließ diese Gesellschaft am 3. November 1993 auf dem Pflaster des Altstädter Rings eine Platte anbringen: „Hier stand die Mariensäule und sie wird wiedererstehen.“ Der Prager Magistrat ließ die Worte „… und sie wird wiedererstehen“, tilgen.
Beide Denkmäler, die Marienstatue und das Hus-Denkmal, spalten bis heute die Bevölkerung Böhmens und ganz Tschechiens. Kaiser Ferdinand III. hatte 1648 die Errichtung von Mariensäulen in Wien und Prag als Dank für die Errettung Prags vor den Schweden gelobt. Damals standen die Schweden bereits auf der Kleinseite von Prag, aber kaiserliche Soldaten, Bürger, Kleriker und Studenten hatten tapfer auf der Karlsbrücke gekämpft, so dass die Schweden die Altstadt nicht erobern konnten.
Bereits 1650 wurde die von dem Bildhauer Johann Georg Bendl geschaffene Säule auf dem Altstädter Ring aufgestellt. Sie ist für viele Tschechen bis heute das Symbol der Gegenreformation und der Habsburgerherrschaft nach dem Sieg am Weißen Berg, weil dort 1621 die Rädelsführer des Aufstandes von 1618 hingerichtet wurden. Seit dem Roman von Alois Jirásek „Temno“ (Dunkelheit) ist der Mythos immer noch lebendig, dass sich Dunkelheit und Finsternis nach der Schlacht am Weißen Berg über die böhmischen Länder bis 1918 ausgebreitet habe. Die Mariensäule galt aber nicht nur als Zeichen der Gegenreformation und der Herrschaft Habsburgs, sondern auch des Endes der böhmischen Staatlichkeit.
1896 wurde der Altstädter Ring als Standort vorgeschlagen, nachdem für den Wenzelsplatz bereits das Wenzelsdenkmal geplant war. Die katholische Kirche protestierte heftig gegen den Plan, Hus mit einem Denkmal zu würdigen. Bereits im Jahr 1889 führte die Frage, ob unter 72 tschechischen Persönlichkeiten auch für Hus eine Gedenktafel am Prager Nationalmuseum vorzusehen sei, zum Eklat im böhmischen Landtag. Fürst Karl IV. von Schwarzenberg hatte die Hussiten „eine Bande von Räubern und Brandstiftern“ genannt.
Noch mehr als die Auseinandersetzungen um das Hus-Denkmal vergiftete am Ende des Ersten Weltkriegs durch den Zerfall Österreich-Ungarns auch die Zerstörung der Mariensäule die politische, nationale und konfessionelle Atmosphäre in der neuen Republik. Der Sturz der Mariensäule war nur der Anfang. Die Führung des neuen Staates unter Präsident Thomas Masaryk und Außenminister Edvard Beneš war antikatholisch eingestellt. Die zu über neunzig Prozent katholischen Sudetendeutschen waren trotz der Aussagen des amerikanischen Präsidenten Wilson vom Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgeschlossen, obwohl es in der ČSR mehr Deutsche gab als Slowaken.
Die deutschen Erzbischöfe von Prag und Olmütz mussten damals freiwillig zurücktreten, deutsche Ordensleute aus Prag mussten das Land verlassen wie die Benediktiner in Emmaus oder die Benediktinerinnen von St. Gabriel. Diese Schwestern waren so zahlreich, dass sie 1904 mit zwölf Schwestern das Hildegard-Kloster in Eibingen bei Bingen am Rhein besiedeln konnten. Die in Prag verbliebenen Schwestern gingen 1919 in die Steiermark, die Mönche aus Emmaus nach Grüssau in Schlesien und nach Neresheim in Württemberg.
Tschechischer Nationalismus hatte auch den Klerus erfasst und führte zum Abfall von Rom, als im Januar 1920 eine „Tschechoslowakische Kirche“ gegründet wurde, die einen eigenen Patriarchen wählte und sich erst 1971 den neuen Namen „Tschechoslowakische Hussitische Kirche“ gab. Diese neue Kirche brach mit Rom und verzichtete auf den Zölibat. Als sie auch auf die Apostolische Sukzession verzichtete, unterstellten sich genügend Priester, die bis 1920 katholisch waren, 1923 dem serbischen Patriarchen, der aus ihren Reihen einen Bischof für eine tschechische orthodoxe Kirche weihte, der Moskau 1951 die Autokephalie gab.
Als 1925 die Prager Regierung den Todestag von Hus zum Feiertag erklärte, zog der Vatikan den Nuntius ab. Die Schaffung der Nationalkirche 1920 war der größte Schlag für Rom seit der Reformation. Zwei Millionen Tschechen verließen damals die katholische Kirche. Nur eine Hälfte davon schloss sich der Nationalkirche an, die andere Hälfte wurde religionslos. Bei den Tschechen sank dadurch in der Zwischenkriegszeit der Anteil der Katholiken auf 70 %, bei den Sudetendeutschen blieb er trotz einer Los-von-Rom-Bewegung bei 90 %.
In der Debatte um die Mariensäule mischen sich bis heute politische und historische Argumente mit religiösen Empfindungen, weil die Religion in den böhmischen Ländern wegen der Nähe der katholischen Kirche zur Habsburg-Monarchie politisch gesehen wurde. Daraus ist auch die Tatsache zu verstehen, dass sich nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung im 21 . Jahrhundert nur noch elf Prozent der Bevölkerung in Tschechien zu einer Konfession bekennen.
Über die Zerstörung des Mariendenkmals, bei dem ein Vierteljahrtausend Andachten und Prozessionen stattgefunden hatten, werden heute schon Legenden erzählt: Die Frau, die auf die Säule kletterte, sei Milada Horáková gewesen. Nach ihr wurde in Prag eine Straße benannt, denn sie war die erste Frau, die 1950 von den Kommunisten hingerichtet wurde. Mit einem Strick um den Hals.
Im Februar 2020 haben die Bauarbeiten für die rekonstruierte Mariensäule begonnen.
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