Herr Ripka, Christenverfolgung erscheint in Europa vielen als Randphänomen. Wie schätzen Sie das ein?
Von einem Randphänomen kann nur sprechen, wer den christlichen Glauben selbst an den Rand drängen will. „Verfolgt und vergessen?“ haben wir bei KIRCHE IN NOT unseren Bericht über Christenverfolgung genannt. Das Fragezeichen ist sehr bewusst gewählt. Denn es liegt an uns, ob die verfolgten Christen vergessen sind. Leider ist medial und sogar im kirchlichen Bereich oft sehr wenig davon zu hören.
Fakt ist: Christenverfolgung nimmt erschreckend zu. Das wissen wir aus den Berichten unserer Projektpartner. KIRCHE IN NOT ist immerhin in etwa 140 Ländern aktiv. Wir sind das Hilfswerk für verfolgte Christen, und dieser Ausrichtung bleiben wir treu.
Ein zweiter Vorwurf lautet: Wer von Christenverfolgung spricht, arbeitet mit Ressentiments gegenüber dem Islam …
Islam ist nicht gleich Islamismus. Ja, der militante Islam ist eine der Hauptursachen für Christenverfolgung. Aber: Unter dem Terror leiden Muslime genauso, wenn sie die menschenverachtenden Ideale der Extremisten nicht teilen. Und es sollte auch nicht unterschlagen werden, das nationalistische Bewegungen und autoritäre Regime ebenfalls zu den Haupttätern gehören. Nationalismus ist genauso tödlich für Christen wie religiöse Extremismus.
Um die Christen in welchen Ländern macht sich KIRCHE IN NOT derzeit am meisten Sogen?
Es vergeht keine Woche ohne Schreckensnachricht aus Afrika. Die Länder der Sahelzone sind zum Epizentrum islamistischer Gewalt geworden. Da geht es um politische Macht, um Bodenschätze, um ganze Wirtschaftszweige – aber eben auch immer wieder um Religion. Darum ist es nicht in Ordnung, wenn diese religiösen Aspekte außer Acht gelassen wird.
Auch die jüngsten Ereignisse in Syrien geben Anlass zur Sorge. Niemand kann abschätzen, wie es für die religiösen Minderheiten wie die Christen weitergeht. Die neuen Machthaber haben Religionsfreiheit zugesichert. Sie müssen sich an ihren Taten messen lassen.
Ein besonders schockierendes Beispiel aus dem vergangenen Jahr: Am 3. Juni 2024 ist der 74-jährige Christ Nazir Gill Masih aus Sargodha im Nordosten Pakistans an den Folgen seiner Verletzungen gestorben. Eine aufgepeitschte Menschenmenge hatte Masih und seine Familie bezichtigt, Seiten des Koran angezündet zu haben. Medienberichten zufolge soll eine Gruppe von bis zu 300 Personen das Haus und die Schuhfabrik der Familie angegriffen haben.
Weitere Vorfälle, nicht nur in Pakistan: Viele christliche Mädchen werden entführt, zwangsverheiratet und missbraucht. Kinder aus christlichen Familien haben keine Chance auf Bildung. Und das geht seit Jahrzehnten so. KIRCHE IN NOT unterstützt deshalb die rechtliche Betreuung von angeklagten Christen, die Traumabehandlung für missbrauchte Mädchen und Bildungschancen für junge Menschen.
Ich glaube eher, dass die Kirche bei uns ein Relevanz-Problem hat. Es liegt darum an uns, den Christen in Europa, wie selbstbewusst wir auftreten und welches Zeugnis wir ablegen. Und da können uns die Glaubensgeschwister aus den Ländern mit brutaler Verfolgung ein Vorbild sein.
Empfänger: KIRCHE IN NOT
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