Über die Hintergründe des Konflikts und Chancen für eine friedliche Entwicklung sprach Tobias Lehner vom weltweiten katholischen Hilfswerk KIRCHE IN NOT mit Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate. Er ist ein Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie und kam 1974 als politischer Flüchtling nach Deutschland. Asserate ist Unternehmensberater für den Mittleren Osten und Afrika, Bestsellerautor und Politischer Analyst.
Und was sind die tieferliegenden Gründe?
Ich habe seit über 30 Jahren vor diesem Moment gewarnt: Eine Ethnisierung der Politik wird zu ethnischen Säuberungen führen. Das erleben wir im Moment. Äthiopien ist der einzige Staat auf der Welt, der sich eine „ethnische Föderation“ nennt.
Verantwortlich für diese aktuelle Katastrophe ist die Verfassung, die den Äthiopiern von der TPLF Anfang der 90er Jahre aufoktroyiert worden ist. Diese Apartheid-Verfassung muss dringend durch eine neue ersetzt werden, die aus Äthiopien endlich das macht, was die Mehrheit der Äthiopier seit mindestens fünfzig Jahren will: einen demokratischen föderalistischen Staat.
Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat. Die Tigray sind eine von ca. 120 Ethnien. Droht eine Sogwirkung, die ganz Äthiopien zu destabilisieren droht – und mit ihm die ganze Region?
Das wird in westlichen Medien so dargestellt. Ich sehe das anders. Wenn die TPLF und ihre Verbündeten keinen Einfluss mehr haben, dann ist der größte Feind der äthiopischen Union besiegt. Wir Äthiopier können dann in friedlicher Koexistenz miteinander leben, wie wir das seit Jahrtausenden tun.
Sie hatten vorhin dennoch christenfeindliche Übergriffe angesprochen, auch mit Beteiligung der jetzigen Kriegspartei TPLF. Worum handelt es sich da?
Das geschah im Sommer auf dem Gebiet der Oromo (der größten und mehrheitlich muslimischen Ethnie Ähtiopiens, Anm. d. Red.). Die „Islamic Front for the Liberation of Oromia“ (Islamische Front zur Befreiung von Oromo) hat zusammen mit der OLF-Shene (Oromo Liberation Front, Oromo-Befreiungsfront; Anm. d. Red.) gezielt äthiopisch-orthodoxe Christen ausgewählt und regelrecht abgeschlachtet.
Wir wissen heute, dass diese beiden Gruppen finanziell, politisch und mit Waffen von der TPLF unterstützt worden sind. Die TPLF hat weder für die äthiopische Kultur noch für die Religion etwas übrig. Das sind für sie alles reaktionäre Erscheinungen.
Der Konflikt greift auch auf Eritrea über. Von Tigray aus wurden auch Raketen auf das Nachbarland gefeuert, wie die TPLF bestätigte. Was bedeutet das für den Friedensprozess zwischen Ähtiopien und Eritrea?
Äthiopien und Eritrea kämpfen gemeinsam gegen die TPLF. Wer hätte das gedacht? Die alten Probleme zwischen Äthiopien und Eritrea sind ausgeräumt. Dieser Friede hält.
Die Mehrheit der Äthiopier sind Christen, das Land zählt zu den ältesten christlichen Nationen der Welt. Welche Rolle kann oder sollte die Kirche in diesen Konflikt übernehmen?
Als im Sommer Tausende von äthiopischen Christen ermordet wurden, haben vor allem die orthodoxen Kirchen Europas das entschieden verurteilt. Die westlichen Kirchen waren dagegen sehr zurückhaltend. Ich hoffe sehr, dass sich die westlichen Kirchenführer nicht so verhalten wie die weltlichen Regierungen, die eine sogenannte „Realpolitik“ gegenüber Afrika betreiben und auch vor autoritären Regimen in die Knie gehen. Das darf für christliche Kirchen nicht der Weg sein. Sie müssen stattdessen überall dort, wo die Gesetze Christi nicht befolgt werden, aufschreien und die Situation kritisieren – und helfen, wo immer es möglich ist.
Empfänger: KIRCHE IN NOT
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BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: Äthiopien
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