Über die Hintergründe dieses Konflikts, die Frage nach einer religiösen Komponente und aktuelle Zahlen der Betroffenen sprach Maria Lozano vom weltweiten katholischen Hilfswerk KIRCHE IN NOT mit Blaise Agwon. Der Priester leitet das „Dialogue, Reconciliation and Peace Centre“ (Zentrum für Dialog, Versöhnung und Frieden) in Jos, der Hauptstadt des Bundesstaates Plateau in Zentralnigeria. Agwon ist Experte im Krisen- und Konfliktmanagement. Seine Forschungsschwerpunkt ist der Konflikt zwischen Bauern und Viehhirten im Middle Belt.
Die Eskalation ist auf Aktivitäten terroristischer Organisationen wie Boko Haram und ISWAP („Islamic State West Africa Province”, Islamischer Staat in Westafrika) zurückzuführen sowie auf die Verbreitung von Waffen infolge der Konflikte in einigen anderen afrikanischen Ländern wie Libyen, Mali, der Zentralafrikanischen Republik usw. Solche Konflikte sind nicht spezifisch für Nigeria, sondern finden sich in den meisten afrikanischen Ländern.
Die westliche Welt weiß zwar von den Bedrohungen durch Boko Haram und die Ableger des IS in Afrika. Aber die Situation im Middle Belt hängt nicht mit diesen Gruppen zusammen. Worum geht es in dem Konflikt?
Für den Konflikt im Middle Belt sind viele Faktoren verantwortlich. Da sind zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels, das Konkurrieren von Bauern und Viehhirten um Land und Wasser, Viehdiebstahl, Entführungen, organisierte Kriminalität und Raubüberfälle.
Durch den Terror von Boko Haram und ISWAP im Nordosten Nigerias und das Schrumpfen des Tschadseebeckens – bisher die Lebensgrundlage für über 40 Millionen Menschen – und die damit einhergehende Wüstenbildung kommt es zu Massenwanderungen von Menschen und auch Tieren in Richtung Middle Belt. Dies hat zu einer gravierenden Konkurrenz um Wasser und Land, Ackerbau und Weidewirtschaft, um die Errichtung von Gebäuden und wirtschaftliche Aktivitäten geführt. Boko Haram und ISWAP sind jedoch nach wie vor auch in diesem Gebiet aktiv. Sie sind an Entführungen, räuberischen Aktionen und sogar an Viehdiebstahl beteiligt.
Es stimmt zwar, dass Fulani-Hirten an Verbrechen insbesondere im Middle Belt beteiligt sind. Aber es sind nicht alle Fulani und nicht ausschließlich die Fulani verantwortlich. Es gibt sehr viele weitere Gruppen aus anderen Ethnien, die ebenfalls in Kriminalität, Entführungen und Viehdiebstahl verwickelt sind. Manche von ihnen haben sogar Milizen gebildet. Einige Fulani haben auch mit lokalen christlichen Gruppen kriminelle Banden gebildet. Es geht eher um Kriminalität und einen Konflikt um Ressourcen.
Es gibt etwa 20 bis 25 Millionen Fulani, die in der Sahelzone und in Westafrika leben. Einige Quellen sprechen sogar von 40 Millionen. Ist es nicht gefährlich, ein ganzes Volk, eine ganze Gemeinschaft zu stigmatisieren?
Wir haben tatsächlich über 40 Millionen Fulani, die über die Sahelzone verteilt sind, und im Lauf der Geschichte gab es schon immer Konflikte zwischen ihnen und den Ackerbauern. Solche Streitigkeiten wurden stets mithilfe lokaler Konfliktlösungsverfahren beigelegt. Doch sowohl die Zahl als auch der Schweregrad dieser Konflikte haben in den letzten Jahren nicht nur in Nigeria, sondern auch in weiteren Ländern zugenommen. Einige dieser Länder sind überwiegend muslimisch, zum Beispiel Niger und Mali. Auch sie verzeichnen eine Steigerung des Konflikts zwischen Viehhirten und lokalen Gruppen.
Der Konflikt im Middle Belt mag wie ein religiöser Konflikt wirken, weil er zwischen den überwiegend muslimischen Viehhirten und den mehrheitlich christlichen Bauern ausgetragen wird. Es handelt sich jedoch eher um einen Ressourcen- als um einen religiösen Konflikt. Es besteht die Gefahr, dass alle Fulani wegen der Taten einzelner Stammes-Angehöriger stigmatisiert und als Dschihadisten bezeichnet werden.
In der Tat geht man aber davon aus, dass auch Dschihadisten oder Söldner, insbesondere aus Mali, für einige der Gräuel in Nordnigeria verantwortlich sind. Es wäre jedoch falsch zu sagen, dass die Gewalt sich nur gegen Christen richten. Eine solche Behauptung ist nicht nur falsch, sondern auch herzlos. Muslime haben unter diesen Angriffen ebenso gelitten wie Christen.
Es wird allgemein angenommen, dass bisher über 20 000 Menschen in Nordnigeria durch Terror ums Leben gekommen sind. Mit den Berichten wird jedoch auch massiv Politik betrieben, da verschiedene Gruppen ihre Zahlen immer wieder aufblähen, um lokale wie auch internationale Sympathien zu gewinnen.
Und was ist mit den Flüchtlingen? Die Bischöfe schreiben: „Die Opfer dieser Kriminellen bleiben als Flüchtlinge in Lagern gefangen, leben und sterben in Armut und Krankheit.“ Haben Sie Zahlen über das tatsächliche Ausmaß der Tragödie?
Bislang gibt es etwa 2,5 Millionen Binnenvertriebene im Nordosten Nigerias, 680 000 Flüchtlinge in Kamerun und über 294 000 im Tschad und in Niger. Das Leben in den Flüchtlingscamps ist sehr hart, den Flüchtlingen droht unter anderem Hunger und Missbrauch. Einige Geflüchtete aus der nördlichen Zentralregion sind in ihre Heimat zurückgekehrt, da der Konflikt dort nachgelassen hat.
Meines Erachtens kann die internationale Gemeinschaft Nigeria am besten im Bereich der Sicherheit helfen. Die Sicherheitskräfte brauchen mehr und eine bessere Ausrüstung, Kommunikationstechnik, Transportmittel usw. Die Regierung muss auch das Budget für die Sicherheitsorgane aufstocken, mehr Personal rekrutieren und besser für deren Wohlergehen sorgen, um ihre Arbeitsmoral zu stärken.
Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München
IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: Nigeria
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