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Die Kirche von Nowa Huta - Symbol für Polens Sieg über den Kommunismus

Die Kirche von Nowa Huta - Symbol für Polens Sieg über den Kommunismus

Vor 15 Jahren starb ihr Baumeister Pfarrer Józef Gorzelany

04.11.2020 aktuelles
Als im Herbst 2020 Deutschland den 30. Jahrestag seiner Wiedervereinigung feierte, wurde in manchen Rückblenden auch die Rolle Polens gewürdigt. „Der Weg zur Wiedervereinigung begann mit der Wahl Karol Wojtyłas zum Papst und der Gründung von Solidarnosc“, sagte etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet. Aber auch der Jahrhundertpapst Johannes Paul II. bedurfte engagierter und mutiger Mitarbeiter. Einer von ihnen war Pfarrer Józef Gorzelany, der zusammen mit seiner Gemeinde das Wunder des Kirchenbaus von Nowa Huta vollbrachte. – Ein Beitrag von Volker Niggewöhner (KIRCHE IN NOT).
Józef Gorzelany, von 1965 bis 1986 Pfarrer in Nowa Huta.
Als die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen die Macht Stück für Stück an sich rissen, setzte auch in einem der katholischsten Länder der Welt der Kampf gegen Religion und Kirche ein. Zwar konnte die Kirchenverfolgung hier wegen der Frömmigkeit der Bevölkerung und ihrer Treue zum Papst weniger offen erfolgen wie in anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang. Aber die Regierungen der autoritären Volksrepublik Polen versuchten durch zahlreiche Umerziehungsmaßnahmen, die katholischen Polen von ihrem Glauben zu entfremden.

 

Stadt ohne Gott

Dazu zählten auch städtebauliche Maßnahmen. In Nowa Huta („Neue Hütte“), heute ein Stadtteil von Krakau, sollte ab 1947 ein „Arbeiterparadies“, eine Trabantenstadt im Stile des „sozialistischen Klassizismus“ für bis zu 200.000 Bewohner entstehen. Man scheute in dieser Hinsicht weder Kosten noch Mühen: Die besten Architekten wurden beauftragt; Kinos, Theater und andere Vergnügungsstätten entstanden. Nowa Huta war als „Stadt ohne Gott“ geplant: Es sollte keine Kirche geben, ja nicht einmal ein Kreuz.

Frauen und Männer beim Bau der Kirche in Nowa Huta.
Dennoch gründete sich bereits 1952 eine Pfarrgemeinde in Nowa Huta, die 1957 – ermutigt durch eine Lockerung der Religionspolitik – an der Stelle der späteren Kirche erstmals ein Kreuz errichtete. Immer wieder jedoch ließen die staatlichen Behörden das Kreuz entfernen, manchmal durch betrunkene Arbeiter, die man dafür bezahlt hatte. Doch unermüdlich richteten es Anwohner und Gemeindemitglieder wieder auf. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei- und Militärkräfte, die Todesopfer forderten. Trotz der Gewalt trafen sich immer wieder tausende Gläubige an dem Kreuz, um zu beten und Lieder wie dieses zu singen: „Wir wollen Gott, wir werden unterdrückt. Er ist unser König. Er ist unser Herr.“ Zwar konnten die Katholiken von Nowa Huta nicht die Forderung nach dem Bau einer Kirche durchsetzen, aber fortan duldete das Regime das Kreuz, das zum Symbol der Hoffnung wurde.

 

Kampf um Kreuz und Kirche

1964 wurde Weihbischof Karol Wojtyła, der spätere Papst Johannes Paul II., zum Erzbischof von Krakau ernannt. Der junge, tatkräftige Oberhirte scheute die Konfrontation mit dem kommunistischen Regime in Polen nicht. Besonders der geplante Kirchenbau in Nowa Huta wurde ihm zu einem Herzensanliegen. Bereits als Weihbischof hatte er mäßigend auf die gespannte Situation einwirken können. Als Erzbischof feierte er in der Folgezeit trotz Widerstands der Behörden an der Stelle des Kreuzes wiederholt die Heilige Messe im Freien. Es gelang ihm, im Ausland Aufmerksamkeit für das Projekt zu erregen und 1965 eine Baugenehmigung der staatlichen Behörden für die Kirche zu erwirken. 1967 segnete der kurz zuvor zum Kardinal ernannte Wojtyła den Bauplatz, am 18. Mai 1969 fand die Grundsteinlegung statt.

Karol Kardinal Wojtyła besichtigt den Bauplatz in Nowa Huta.
Ein weiterer Meilenstein für den Bau der Kirche war 1965 die Ernennung von Józef Gorzelany zum neuen Pfarrer der Gemeinde von Nowa Huta. Gorzelany wurde als Seelsorger und Bauherr zur treibenden Kraft des Kirchbaus und erwies sich als gleichermaßen tatkräftig und flexibel. Es gelang ihm nach zähen Verhandlungen im Auftrag des Erzbischofs, die Baugenehmigung zu erhalten. Zusammen mit dem Architekten Wojciech Pietrzyk entwickelte er die Idee der Kirche: Sie erinnert durch ihre Form und eine Ansammlung von symbolischen Elementen an die biblische Arche Noahs. Die Bezeichnung „Arche des Herrn“ sollte den symbolischen Sieg der Gläubigen von Nowa Huta über die rote Sintflut des totalitären Regimes der Volksrepublik Polen verdeutlichen und wurde so ein von Jedem verstandenes Symbol der Rettung und des Schutzes vor dem Unglauben und der geplanten Atheisierung der Gesellschaft.

 

Ein Gebetssturm über Nowa Huta

Die Kirche wurde buchstäblich mit bloßen Händen und Schubkarren erbaut; die Arbeiter – Männer wie Frauen – leisteten Übermenschliches. Da die Behörden den staatlichen Unternehmen verboten hatten, Kräne zu verleihen und Baumaterial an Pfarrer Gorzelany und seine Helfer zu verkaufen, musste alles selbst beschafft werden, zumeist aus dem Ausland. Die bis zu 20 Meter hohen Mauern mussten mit den Händen errichtet werden. Der Beton wurde von Hand zu Hand nach oben geschaufelt, Spaten für Spaten. Nach ihrer Arbeit in den Fabriken kamen tausende Menschen und arbeiteten an ihrer Kirche, selbstverständlich ohne Bezahlung. Die Arbeiten an der Kirche gingen Tag und Nacht weiter, jahrelang.

 

Doch nicht nur als Organisator, auch als Seelsorger leistete Gorzelany Großartiges für seine rund 100.000 Gläubige zählende Gemeinde. Zusammen mit 15 Kaplänen, zehn Ordensfrauen und fünf Laienbrüdern wurde das Feuer des Glaubens in Nowa Huta entfacht. Jeder Kaplan gab wöchentlich 25 Stunden Religionsunterricht in einfachen Holzbaracken, weil Priester zu den Schulen keinen Zugang hatten. Jeden Morgen wurde auf dem Baugelände von 6 bis 9 Uhr ununterbrochen Gottesdienst gefeiert, hinzu kam eine gut besuchte Abendmesse um 18 Uhr. Jeder, ob Ingenieur, Architekt, Polier oder Bauarbeiter, kniete auf dem Weg zur Arbeit zu einem kurzen Gebet vor dem Tabernakel auf dem Bauplatz nieder.

Der Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszyński, Kardinal Wojtyła und Pfarrer Gorzelany.
Es war ein Gebetssturm, der über Nowa Huta hinwegfegte und den Himmel bestürmte. Zu den Mitternachtsmessen an Weihnachten, die bei jeder Witterung im Freien stattfanden, kamen 50.000 Gläubige, eine fast gleich große Anzahl fand sich bei den Fronleichnamsprozessionen zusammen. Während der letzten Tage vor Ostern wechselten sich 50 Priester Tag und Nacht ab, um Beichte zu hören. Im Jahr 1975 zählte man 15.000 Kinder 35.000 Erwachsene bei der Osterbeichte. Ein Besucher aus dem Westen berichtete damals: „Einen solchen Glauben haben wir noch nirgends gefunden.“
Betende Kommunionkinder vor der Kirche von Nowa Huta.

Hilfe aus dem Ausland

Hinzu kam, dass Erzbischof Wojtyla und Pfarrer Gorzelany wichtige Fürsprecher und Helfer im Ausland hatten. Dazu zählten neben vielen anderen Franz Kardinal König von Wien, der einige Hebekräne und Betonmischer schickte, und Papst Paul VI., der bei einer Audienz mit Kardinal Wojtyła und Pfarrer Gorzelany (s. Foto) außer Geld auch einen Stein vom Grab des Apostels Petrus für die Grundsteinlegung übergab. Die große Orgel war auf Veranlassung von Bischof Dr. Josef Stimpfle ein Geschenk des Bistums Augsburg. Bischof Stimpfle war auch Gast der Orgelweihe.

Der große Herold im Westen für die Hilfsaktion war jedoch Pater Werenfried van Straaten, der Gründer von KIRCHE IN NOT, mit seinem Hilfswerk, das damals noch „Ostpriesterhilfe“ hieß. Pfarrer Gorzelany erinnert sich: „Alle Spenden der Menschen im Westen für den Bau der Kirche wurden durch KIRCHE IN NOT gesammelt.“ (Am Ende des Jahres 1976 sollten es bereits eine Viertelmillion US-Dollar sein.) Pater Werenfried schrieb an seine Wohltäter: „Eure Liebe wurde zu Zement, der euch unverbrüchlich mit denen verbindet, die um Jesu willen Verfolgung und Unrecht leiden.“ Somit wurde Nowa Huta auch zum Zeichen einer grenzüberschreitenden, katholischen Solidarität der Weltkirche.

Papst Paul VI. überreicht den Grundstein für die Kirche von Nowa Huta an Kardinal Wojtyła und Pfarrer Gorzelany.

„Ohne Kreuz kann kein menschliches Leben aufgebaut werden“

 

Am 15. Mai 1977 konnte Kardinal Wojtyła schließlich die Schiffskirche auf das Patrozinium der Mutter Gottes, der Königin von Polen, weihen. Es regnete in Strömen, trotzdem kamen mehr als 70.000 Menschen. In seiner Predigt während der heiligen Messe, der auch Vertreter aus dem Ausland beiwohnten, sagte der Kardinal: „Wenn man das Kreuz aus der Seele entfernt, baut man nicht menschliches Leben auf, sondern zerstört es. Man nimmt dem Menschen den letzten Halt. Das tut man nicht ungestraft. Dafür zahlt man mit dem Verfall der Moral, mit der Zunahme der Morde auf das ungeborene Leben, mit einem steigenden Index zerrütteter Ehen und Familien, mit immer größer werdender Trunksucht und Arbeitsunwilligkeit. Ohne das Kreuz kann kein menschliches Leben aufgebaut und die Moral eines fortschrittlichen Volkes nicht gerettet werden. Man kann keine junge Generation erziehen, wenn sie nicht den Wert des Opfers, der Selbstüberwindung, des Altruismus und des Verzichtens kennenlernt. Daher fordern wir Daseinsrecht für das Kreuz in unserem Vaterland in der Gewissheit, dass mit dem Kreuz nicht nur das Leiden Christi, sondern auch die Erlösung Christi für Mensch, Familie, Volk und für die ganze Menschheit verbunden ist“.

Menschenmassen bei der Konsekration der Kirche von Nowa Huta am 15. Mai 1977.

Nowa Huta als „Übungsplatz“ für die Wende im Osten

Ein Jahr später wurde Kardinal Wojtyła zum Papst gewählt. Zwar durfte er die Schiffskirche während seiner ersten Polenreise 1979 nicht besuchen, wohl aber das Kloster Mogila, das sich in unmittelbarer Nähe befindet. Johannes Paul II. erinnerte in seiner Ansprache an die Entstehung der Kirche: „Man kann das Kreuz nicht von der Arbeit trennen. Man kann Christus nicht von der Arbeit trennen. Das wurde hier in Nowa Huta bewiesen.“ Es waren eindringliche Worte, die auch an die Machthaber gerichtet waren. Auf der gleichen Reise hatte er in Warschau ausgerufen: „Komm, Heiliger Geist, und erneuere das Angesicht dieser Erde!“ Seine Landsleute hatten ihn verstanden. Die bald darauf gegründete polnische Arbeiter- und Freiheitsbewegung Solidarnosc wäre ohne Johannes Paul II. wohl ebenso wenig denkbar gewesen wie der glückliche und weitgehend unblutige Verlauf der politischen Wende in Europa Ende der Achtzigerjahre.

Nowa Huta ist ein Symbol dieser Entwicklung. Der polnische Historiker Antoni Dudek analysiert: Es scheint, dass für Karol Wojtyła Nowa Huta der wichtigste Übungsplatz war, der Kirche in Polen und in allen von Kommunisten beherrschten Ländern Mittel- und Osteuropas wieder einen Platz zu verschaffen.“ Der Aufgabe, den Christen in Polen und anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang Luft zum Atmen zu verschaffen, hatte sich KIRCHE IN NOT bereits seit Anfang der Fünfziger Jahre verschrieben. Die Hilfe von KIRCHE IN NOT war auch deshalb so effizient, weil Pater Werenfried van Straaten und Karol Wojtyła ein langjähriger, herzlicher Kontakt verband. Das kam noch aus der Zeit, als Wojtyła Kardinal in Krakau war und für die polnische Bischofskonferenz die Unterstützung von KIRCHE IN NOT für die polnischen Katholiken organisierte.

Kardinal Wojtyła bei der Konsekration der Kirche von Nowa Huta.
KIRCHE IN NOT und die Hilfe für Polen

Die Anfänge der Hilfe von „Kirche in Not“ für Polen liegen sogar noch weiter zurück. Bereits 1957 traf Pater Werenfried den polnischen Primas, Stefan Kardinal Wyszyński, in Rom. Dieser bat ihn, die Ausbildung von Seminaristen und den Lebensunterhalt kontemplativer Schwestern in Polen zu unterstützen, da er die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus vor allem als einen geistlichen Kampf betrachtete. Auch die theologischen Ausbildungsstätten, viele im Verborgenen, die Versorgung der Priester in den Gemeinden, Treffen von Laien und kirchlichen Gruppen: All das und noch vieles mehr hat KIRCHE IN NOT in Polen unterstützt.

 

Als 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde und viele Menschen in tiefe Not stürzte hat KIRCHE IN NOT zusammen mit anderen Organisationen die Aktion „Ein Schiff für Polen“ auf die Beine gestellt. Hunderte Tonnen an Lebensmitteln, Sanitärartikel, Kleidung, sogar Nähmaschinen und Messwein wurden seinerzeit nach Polen geschickt. Das war bis dahin die größte karitative Hilfsaktion von KIRCHE IN NOT.

Pater Werenfried van Straaten und Papst Johannes Paul II. (Foto: Lido Santoni).
2004 hat KIRCHE IN NOT eine internationale Wallfahrt von Mitarbeitern und Wohltätern nach Polen veranstaltet, bei der auch eine heilige Messe in der Schiffskirche in Anwesenheit von Józef Gorzelany gefeiert wurde. Die Pilger konnten sich während der Reise ein Bild von der Wiederauferstehung der polnischen Kirche machen und eines der wichtigsten KIRCHE IN NOT-Projekte in der Zeit des Kalten Krieges besuchen, das ein Symbol des Widerstandes, aber auch der Hoffnung bleibt. Gorzelany starb am 7. November 2005 und hat auf dem Rakowicki-Friedhof in Krakau seine letzte Ruhestätte gefunden. Eine der Glocken der „Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen“ trägt seinen Namen und wird auch in Zukunft an den Baumeister von Nowa Huta erinnern.
KIRCHE IN NOT-Dokumentarfilm über die Kirche von Nowa Huta:

 

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