Dazu zählten auch städtebauliche Maßnahmen. In Nowa Huta („Neue Hütte“), heute ein Stadtteil von Krakau, sollte ab 1947 ein „Arbeiterparadies“, eine Trabantenstadt im Stile des „sozialistischen Klassizismus“ für bis zu 200.000 Bewohner entstehen. Man scheute in dieser Hinsicht weder Kosten noch Mühen: Die besten Architekten wurden beauftragt; Kinos, Theater und andere Vergnügungsstätten entstanden. Nowa Huta war als „Stadt ohne Gott“ geplant: Es sollte keine Kirche geben, ja nicht einmal ein Kreuz.
1964 wurde Weihbischof Karol Wojtyła, der spätere Papst Johannes Paul II., zum Erzbischof von Krakau ernannt. Der junge, tatkräftige Oberhirte scheute die Konfrontation mit dem kommunistischen Regime in Polen nicht. Besonders der geplante Kirchenbau in Nowa Huta wurde ihm zu einem Herzensanliegen. Bereits als Weihbischof hatte er mäßigend auf die gespannte Situation einwirken können. Als Erzbischof feierte er in der Folgezeit trotz Widerstands der Behörden an der Stelle des Kreuzes wiederholt die Heilige Messe im Freien. Es gelang ihm, im Ausland Aufmerksamkeit für das Projekt zu erregen und 1965 eine Baugenehmigung der staatlichen Behörden für die Kirche zu erwirken. 1967 segnete der kurz zuvor zum Kardinal ernannte Wojtyła den Bauplatz, am 18. Mai 1969 fand die Grundsteinlegung statt.
Die Kirche wurde buchstäblich mit bloßen Händen und Schubkarren erbaut; die Arbeiter – Männer wie Frauen – leisteten Übermenschliches. Da die Behörden den staatlichen Unternehmen verboten hatten, Kräne zu verleihen und Baumaterial an Pfarrer Gorzelany und seine Helfer zu verkaufen, musste alles selbst beschafft werden, zumeist aus dem Ausland. Die bis zu 20 Meter hohen Mauern mussten mit den Händen errichtet werden. Der Beton wurde von Hand zu Hand nach oben geschaufelt, Spaten für Spaten. Nach ihrer Arbeit in den Fabriken kamen tausende Menschen und arbeiteten an ihrer Kirche, selbstverständlich ohne Bezahlung. Die Arbeiten an der Kirche gingen Tag und Nacht weiter, jahrelang.
Doch nicht nur als Organisator, auch als Seelsorger leistete Gorzelany Großartiges für seine rund 100.000 Gläubige zählende Gemeinde. Zusammen mit 15 Kaplänen, zehn Ordensfrauen und fünf Laienbrüdern wurde das Feuer des Glaubens in Nowa Huta entfacht. Jeder Kaplan gab wöchentlich 25 Stunden Religionsunterricht in einfachen Holzbaracken, weil Priester zu den Schulen keinen Zugang hatten. Jeden Morgen wurde auf dem Baugelände von 6 bis 9 Uhr ununterbrochen Gottesdienst gefeiert, hinzu kam eine gut besuchte Abendmesse um 18 Uhr. Jeder, ob Ingenieur, Architekt, Polier oder Bauarbeiter, kniete auf dem Weg zur Arbeit zu einem kurzen Gebet vor dem Tabernakel auf dem Bauplatz nieder.
Hinzu kam, dass Erzbischof Wojtyla und Pfarrer Gorzelany wichtige Fürsprecher und Helfer im Ausland hatten. Dazu zählten neben vielen anderen Franz Kardinal König von Wien, der einige Hebekräne und Betonmischer schickte, und Papst Paul VI., der bei einer Audienz mit Kardinal Wojtyła und Pfarrer Gorzelany (s. Foto) außer Geld auch einen Stein vom Grab des Apostels Petrus für die Grundsteinlegung übergab. Die große Orgel war auf Veranlassung von Bischof Dr. Josef Stimpfle ein Geschenk des Bistums Augsburg. Bischof Stimpfle war auch Gast der Orgelweihe.
Der große Herold im Westen für die Hilfsaktion war jedoch Pater Werenfried van Straaten, der Gründer von KIRCHE IN NOT, mit seinem Hilfswerk, das damals noch „Ostpriesterhilfe“ hieß. Pfarrer Gorzelany erinnert sich: „Alle Spenden der Menschen im Westen für den Bau der Kirche wurden durch KIRCHE IN NOT gesammelt.“ (Am Ende des Jahres 1976 sollten es bereits eine Viertelmillion US-Dollar sein.) Pater Werenfried schrieb an seine Wohltäter: „Eure Liebe wurde zu Zement, der euch unverbrüchlich mit denen verbindet, die um Jesu willen Verfolgung und Unrecht leiden.“ Somit wurde Nowa Huta auch zum Zeichen einer grenzüberschreitenden, katholischen Solidarität der Weltkirche.
Am 15. Mai 1977 konnte Kardinal Wojtyła schließlich die Schiffskirche auf das Patrozinium der Mutter Gottes, der Königin von Polen, weihen. Es regnete in Strömen, trotzdem kamen mehr als 70.000 Menschen. In seiner Predigt während der heiligen Messe, der auch Vertreter aus dem Ausland beiwohnten, sagte der Kardinal: „Wenn man das Kreuz aus der Seele entfernt, baut man nicht menschliches Leben auf, sondern zerstört es. Man nimmt dem Menschen den letzten Halt. Das tut man nicht ungestraft. Dafür zahlt man mit dem Verfall der Moral, mit der Zunahme der Morde auf das ungeborene Leben, mit einem steigenden Index zerrütteter Ehen und Familien, mit immer größer werdender Trunksucht und Arbeitsunwilligkeit. Ohne das Kreuz kann kein menschliches Leben aufgebaut und die Moral eines fortschrittlichen Volkes nicht gerettet werden. Man kann keine junge Generation erziehen, wenn sie nicht den Wert des Opfers, der Selbstüberwindung, des Altruismus und des Verzichtens kennenlernt. Daher fordern wir Daseinsrecht für das Kreuz in unserem Vaterland in der Gewissheit, dass mit dem Kreuz nicht nur das Leiden Christi, sondern auch die Erlösung Christi für Mensch, Familie, Volk und für die ganze Menschheit verbunden ist“.
Ein Jahr später wurde Kardinal Wojtyła zum Papst gewählt. Zwar durfte er die Schiffskirche während seiner ersten Polenreise 1979 nicht besuchen, wohl aber das Kloster Mogila, das sich in unmittelbarer Nähe befindet. Johannes Paul II. erinnerte in seiner Ansprache an die Entstehung der Kirche: „Man kann das Kreuz nicht von der Arbeit trennen. Man kann Christus nicht von der Arbeit trennen. Das wurde hier in Nowa Huta bewiesen.“ Es waren eindringliche Worte, die auch an die Machthaber gerichtet waren. Auf der gleichen Reise hatte er in Warschau ausgerufen: „Komm, Heiliger Geist, und erneuere das Angesicht dieser Erde!“ Seine Landsleute hatten ihn verstanden. Die bald darauf gegründete polnische Arbeiter- und Freiheitsbewegung Solidarnosc wäre ohne Johannes Paul II. wohl ebenso wenig denkbar gewesen wie der glückliche und weitgehend unblutige Verlauf der politischen Wende in Europa Ende der Achtzigerjahre.
Nowa Huta ist ein Symbol dieser Entwicklung. Der polnische Historiker Antoni Dudek analysiert: Es scheint, dass für Karol Wojtyła Nowa Huta der wichtigste Übungsplatz war, der Kirche in Polen und in allen von Kommunisten beherrschten Ländern Mittel- und Osteuropas wieder einen Platz zu verschaffen.“ Der Aufgabe, den Christen in Polen und anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang Luft zum Atmen zu verschaffen, hatte sich KIRCHE IN NOT bereits seit Anfang der Fünfziger Jahre verschrieben. Die Hilfe von KIRCHE IN NOT war auch deshalb so effizient, weil Pater Werenfried van Straaten und Karol Wojtyła ein langjähriger, herzlicher Kontakt verband. Das kam noch aus der Zeit, als Wojtyła Kardinal in Krakau war und für die polnische Bischofskonferenz die Unterstützung von KIRCHE IN NOT für die polnischen Katholiken organisierte.
Die Anfänge der Hilfe von „Kirche in Not“ für Polen liegen sogar noch weiter zurück. Bereits 1957 traf Pater Werenfried den polnischen Primas, Stefan Kardinal Wyszyński, in Rom. Dieser bat ihn, die Ausbildung von Seminaristen und den Lebensunterhalt kontemplativer Schwestern in Polen zu unterstützen, da er die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus vor allem als einen geistlichen Kampf betrachtete. Auch die theologischen Ausbildungsstätten, viele im Verborgenen, die Versorgung der Priester in den Gemeinden, Treffen von Laien und kirchlichen Gruppen: All das und noch vieles mehr hat KIRCHE IN NOT in Polen unterstützt.
Als 1981 in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde und viele Menschen in tiefe Not stürzte hat KIRCHE IN NOT zusammen mit anderen Organisationen die Aktion „Ein Schiff für Polen“ auf die Beine gestellt. Hunderte Tonnen an Lebensmitteln, Sanitärartikel, Kleidung, sogar Nähmaschinen und Messwein wurden seinerzeit nach Polen geschickt. Das war bis dahin die größte karitative Hilfsaktion von KIRCHE IN NOT.
Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende – schnell und einfach online!