Im Sommer 1946 hatte er im Taunusstädtchen Kronberg als amerikanischer Bischof von Fargo in Nord- Dakota und als USD-Militärbischof Quartier in der Gartenstraße bezogen. Der Papst hatte ihm bereits im Februar den Titel eines „Apostolischen Visitators für Deutschland“ verliehen, um „die Kirche in diesem unglücklichen Land zu visitieren und dem Papst Bericht über seine Eindrücke zu erstatten.“ Es sollte eine vorübergehende Aufgabe von etwa acht Monaten sein. Bischof Muench konnte nicht ahnen, dass er 13 Jahre in Deutschland bleiben würde.
Alois Muench wurde am 18. Februar 1889 als ältestes von sieben Kindern in Milwaukee in einer deutschen Familie geboren. Der Vater Joseph war Sudetendeutscher und stammte aus Sankt Katharina im Böhmerwald, die Mutter Theresa Barbara, eine geborene Kraus, war aus Kemnath in der Oberpfalz eingewandert. Die beiden hatten sich als Auswanderer in der Neuen Welt kennen gelernt und nach der Heirat in Milwaukee niedergelassen. Der Vater starb 1936, die Mutter erst 1955. Seine Schulzeit verbrachte Alois Muench ebenso wie sein Theologiestudium in seiner Heimatstadt. Hier war er nach der Priesterweihe 1913 auch als Kaplan tätig, ehe ihn sein Erzbischof 1917 nach Madison schickte, wo er Sozialwissenschaften studierte. Hier arbeitete er während des Zusatzstudiums auch als Studenten- und Krankenhauspfarrer.
In seiner Diözese baute Muench die Caritas auf und setzte all das in die Praxis um, was er studiert hatte. Er tat es mit deutscher Gründlichkeit, wie die „Catholic Action News“ hervorhob. Als Mitglied der Päpstlichen Kommission für die Katholischen Universitäten Amerikas und der Bischöflichen Kommission für den Frieden unter den Völkern war er in Rom geschätzt, so dass ihm Papst Pius XII. 1946 die geistliche Führung der im besiegten Deutschland stationierten katholischen Soldaten der amerikanischen Armee anvertraute und dazu die schwierige Visitation der katholischen Kirche im zerstörten Nachkriegsdeutschland.
In einem Transportflugzeug der US-Army reiste Bischof Muench Ende Juni 1946 über die Bermudas, Azoren und Paris nach Rom. Der Papst machte ihm klar, wie sehr er das deutsche Volk liebte, wenn er sagte, „sein Herz blute für dieses leidende Volk“. Mit einer Lastwagenkolonne, die Tonnen von vatikanischen Hilfsgütern überbrachte, fuhr Muench nach Frankfurt.
Er fand in Deutschland offene Herzen, denn er kam als Freund des deutschen Volkes. In seinem Fastenhirtenbrief hatte er sich 1946 für eine gerechte Behandlung der ehemaligen Feinde eingesetzt und energisch den Morgenthauplan verurteilt.
Seinen Sitz nahm Bischof Muench in Kronberg, nur wenige Kilometer von Königstein entfernt, wo im gleichen Jahr in den alten Kasernen das Priesterseminar und die Hochschule für die Ost-Vertriebenen entstanden war. Der letzte Rektor des deutschen Priesterseminars in Prag, der spätere Weihbischof Prof. Dr. Adolf Kindermann, war Herz und Motor dieses Vaterhauses der Vertriebenen. Er schrieb nach dem Tode Muenchs:
„Bischof Muench war sehr oft unser Gast in Königstein. Er fehlte auch bei keiner Priestertagung. Immer wieder kam er und brachte jedes Mal eine Aufmerksamkeit für unsere Priester mit. Er war ein Vater der Vertriebenen und Notleidenden. In jenen ersten Jahren unserer Tragödie, da kaum jemand ein Wort für uns einlegen konnte, war es neben dem Papst Pius XII. besonders Bischof Muench, der in seinen Fastenhirtenbriefen an die Gläubigen der Diözese Fargo seine warnende Stimme erhob.“ In diesen Briefen verurteilte Muench die Vertreibung der Deutschen und nannte das Unrecht beim Namen:
„Die Alten und Kranken, die Frauen und Kinder werden in Güterwagen oder in Viehwagen oder in anderen unsauberen und ungenügend sicheren Wagen verladen. So verlässt dieser Elendszug das Land, das ihnen bisher Heimat war, und fährt der deutschen Grenze entgegen. Familien sind auseinandergerissen, deren Glieder sich wahrscheinlich nie wiedersehen. Wieviel Weh erleiden dadurch Tausende und Abertausende von deutschen Flüchtlingen! Nicht genug damit! Nicht selten sind die Wächter, die den Zug begleiten, herzlos und grausam. Sie rauben den Vertriebenen ihre bessere Kleidung, sie ziehen ihnen die Schuhe aus. Die Kranken erhalten so gut wie keine ärztliche Hilfe, weil nur wenig Ärzte und Pflegepersonal den Elendszug begleiten und die Ärzte und Krankenpflegerinnen, die selber ausgewiesen werden, haben keine Medikamente.
Das Essen ist schlecht und unzureichend, vielleicht ein bisschen dünne Suppe und ein Stück Brot. Dagegen gibt es Läuse, Flöhe und Wanzen in Mengen. Solche, die auf dem Weg sterben, werden irgendwo an der Bahnlinie begraben, wo der Zug gerade hält. Tausende sind gestorben ohne Priester, ohne Sterbesakramente. Die teuflischen Wachtposten haben ihnen sogar in ihrer Grausamkeit die Rosenkränze und die Gebetbücher und Heiligenbildchen entrissen.
Man soll sich einmal vorstellen: einunddreißig Millionen Leute strömten aus den angrenzenden Ländern in die Vereinigten Staaten! Diese Summe würde ungefähr den zwölf Millionen deutschen Flüchtlingen entsprechen, nach den Verhältnissen in Deutschland umgerechnet. So betrachtet, sieht man, wie ungeheuer das Problem ist, aber auch, wie grausam die Austreibung dieser Leute ist. In der ganzen Geschichte gibt es nichts, was sich mit diesen grausamen Menschenverschiebungen vergleichen ließe. Mit Recht erklärte ein amerikanischer Korrespondent, der selbst Augenzeuge dieser Menschentragödie war, es sei dies die ‘unmenschlichste Entscheidung’, die je von Staatsmännern getroffen worden sei. Ob nicht die spätere Geschichte unserem Zeitalter den Anspruch auf Kultur abspricht?“
Aus den acht Monaten, die Muenchs Mission eigentlich nur dauern sollte, wurden Jahre. Da der Vatikan niemals die Vernichtung Deutschlands anerkannt hatte, blieb die Nuntiatur nach dem Tode von Erzbischof Orsenigo, der Ende 1945 in Eichstätt gestorben war, verwaist. 1949 ernannte Papst Pius XII. Bischof Muench zum Verweser der Nuntiatur und 1950 zum Apostolischen Nuntius.
Acht Jahre wirkte er als Nuntius. Auch in dieser Zeit kam er nach Königstein und zu verschiedenen Treffen der Ackermanngemeinde in Deutschland. Durch seinen Vater fühlte er sich als Sudetendeutscher. Sein Nachfolger als Nuntius in Bonn, Erzbischof Konrad Bafile, sprach von „engen Beziehungen, die meinen hochverehrten Vorgänger von Anfang an mit den Königsteiner Werken verbanden“ und von „seiner liebenden Sorge für die Heimatvertriebenen, denen er sich in Gedanken an den Geburtsort seines Vaters im Böhmerwald besonders verbunden fühlte“. 1959 berief Papst Johannes XXIII. Erzbischof Muench an die Kurie nach Rom und ernannte ihn zum Kardinal. Beim Eucharistischen Weltkongress 1960 in München feierte er mit den Sudetendeutschen ein feierliches Pontifikalamt. Er starb am 15. Februar 1962.
Prof. Dr. Rudolf Grulich
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