Anlässlich des zehnten Todestags von Luigi Padovese sprach Volker Niggewöhner in der Radio-Sendung „Weltkirche aktuell” mit dem Pfarrer der Gemeinde, Walter Ries.
Das Interview können Sie bei KIRCHE IN NOT kostenlos auf CD bestellen. Weitere Aufnahmen mit Bischof Luigi Padovese finden Sie in unserer Mediathek katholisch.tv.
Was war Ihr erster Gedanke?
Ich konnte es zuerst nicht glauben. Dachte, es sei ein Missverständnis oder eine Verwechslung. Aber als diese Nachricht auf mehreren Kanälen gesendet wurde, ist es schreckliche Gewissheit geworden.
… und er ist dann jedes Jahr wiedergekommen. Was schätzte er an Ihrer Gemeinde in Franken?
Es hat ihm sehr bei uns gefallen. Er fühlte sich hier wirklich zu Hause, das hat er immer wieder betont. Er schätzte die Gemeinschaft, die Freundschaft, die Herzlichkeit der Menschen in unserem Ort. Aber das lag wesentlich an seiner Person.
Luigi war ein Mann mit einer großen Ausstrahlung, sehr gebildet, aber immer auch den Menschen sehr nah. Er war äußerst musikalisch und konnte als Italiener mit seiner wunderschönen Tenorstimme die Herzen der Menschen zutiefst berühren. Und er hat im Sommer immer wieder Konzerte gegeben, zu denen die Menschen kamen.
Wenn er für seine vielen Besuche hier in unserer Gegend ein Auto benötigte (und das brauchte er immer), dann borgte er sich dazu von seinen Freunden am liebsten immer einen kleinen Wagen. In diesem Sinn hat er das Ideal seines Ordensgründers, des heiligen Franziskus, verwirklicht.
Was war sein Arbeitsschwerpunkt als Theologe?
Als Theologe interessierte ihn vor allem die frühe Kirchengeschichte und das Wirken des heiligen Paulus in Kleinasien. Er stellte immer wieder heraus, dass in Kleinasien, das heißt auf dem Gebiet der heutigen Türkei, viele wesentliche Orte und Städte des frühen Christentums lagen.
Insbesondere hier begegneten die jungen christlichen Gemeinden der hellenistisch-römischen Kultur und haben sich mit ihr auseinandergesetzt. Hier wurden wesentliche Grundlagen unserer heutigen Theologie und Kirchenstruktur gelegt.
Er wollte die oft weit versprengten und oft sehr verängstigten christlichen Familien in ihrem Glauben stärken und ermutigen. Er bemühte sich auch sehr, eine gewisse Anerkennung der sehr kleinen römisch-katholischen Minderheit durch den türkischen Staat zu erreichen. Das war aber immer mit großen Schwierigkeiten verbunden.
Papst Johannes Paul II. ernannte ihn 2004 zum Titularbischof von Monteverde und bestellte ihn zum Apostolischen Vikar von Anatolien. Kam das überraschend für ihn?
Ich weiß nicht, ob das überraschend für ihn kam. Da kannte ich ihn noch nicht persönlich. Auf jeden Fall hat er sich darüber gefreut. Er freute sich darüber, an einem Ort, wo die „Wiege des Christentums“ stand, Bischof sein zu dürfen.
Zumindest kann man sagen, als Spezialist für die frühe Kirchengeschichte – gerade für jene Gegend –, lag es nicht fern, ihm eine solche Aufgabe zu übertragen.
Er war Patrologe, er wusste also um die große Bedeutung der Türkei als „Wiege der Christenheit“ (wie Johannes Paul II. sie einmal nannte), aber auch um die aktuelle Situation der Kirche dort als winzige Minderheit. Wie ist er in den Anfängen seine Aufgabe als Bischof in Anatolien angegangen? Welche Akzente wollte er setzen?
Das Gebiet seines Bistums umfasst praktisch die halbe Türkei, und zwar die Osttürkei. Auf ausgedehnten Reisen, oft tagelang, hat er die Gläubigen besucht, sich über ihre Situation informiert und versucht, sie in ihrem Glauben zu bestärken. Er musste die Gläubigen vielfach im wahrsten Sinn des Wortes suchen, weil sie in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend sind. Sie wollen nicht auffallen, um möglichst keine Repressalien erdulden zu müssen.
Den türkischen Staat zur Abkehr von dieser restriktiven Politik zu bewegen und den Christen etwas „mehr Luft zum Atmen“ zu verschaffen, darin sah er seine große Aufgabe.
Haben Sie ihn auch besucht in der Türkei?
Ja, natürlich. Ich kam im Jahre 2004 in unsere Gemeinde Stegaurach. In jenem Jahr ist eine größere Gruppe aus unserer Gemeinde zu seiner Bischofsweihe in Iskenderun gewesen. Im Jahr 2009 führte unsere Pfarrfahrt in den Südosten der Türkei und nach Syrien. Er ließ es sich nicht nehmen, uns selbst die großen und wichtigen Kulturstätten in Kleinasien zu zeigen.
In die Amtszeit des Bischofs Padovese fiel auch der 2000. Geburtstag des Völkerapostels Paulus 2008, der aus Tarsus, also aus dem heutigen Vikariat Anatolien, stammte. Wenn ich mich recht erinnere, hat er sich sehr dafür eingesetzt, dass die dortige Pauluskirche, die nur noch ein Museum war, wieder dauerhaft als Gotteshaus verwendet werden dürfe. Es war ein langes Hin und Herr. Können Sie sich noch daran erinnern?
Ich kann mich sehr genau daran erinnern. Es war ihm ein Herzensanliegen, dass diese Kirche wieder als Gotteshaus benutzt werden durfte. Er hat es mit viel Mühe geschafft. In jenem Jahr 2008 kam auch eine große Delegation der deutschen Bischofskonferenz nach Tarsus, um diese Kirche zu besuchen. Auch viele andere christliche Reisegruppen kamen in jenem Jahr, gerade aus Deutschland und Italien, in die Türkei. Aber nach seiner Ermordung 2010 war dies schlagartig wieder vorbei! Heute ist die Kirche wiederum nur ein „Museum“.
Er hat oft betont, wie schwer der Dialog mit den Muslimen sei, aber hat auch gesagt, ein „Dialog des Lebens“ sei möglich. Was meinte er damit?
Unter dem „Dialog des Lebens“ verstand er die menschlichen Begegnungen. Das war sicher die größte Stärke von Luigi. Der theologische Diskurs mit dem Islam ist nicht so einfach. Aber wenn man sich auf der menschlichen Ebene begegnet, wenn die Menschen einander verstehen, dann ist sehr viel möglich. Wenn sich die Menschen verstehen, dann kommt man auch einander näher. Dann wird auch der theologische Diskurs wesentlich erleichtert.
Ist er auch als Bischof noch regelmäßig nach Stegaurach gekommen?
Ja, sehr gerne und häufig. Ich denke, er kam 2-3 Mal im Jahr zu uns. Oft war dies sehr kurzfristig, wenn er auf seinen „Dienstreisen“ war. Ein kurzer Abstecher nach Stegaurach zu seinen alten Freunden, das hat er einfach gerne gemacht.
Sein Tod im Jahr 2010 hatte einen düsteren Vorboten, denn im Februar 2006 wurde der italienische Priester Andrea Santoro in seiner Kirche in Trabzon am Schwarzen Meer, das zu Bischof Padoveses Vikariat gehörte, erschossen. – Ich erinnere mich, dass er darüber beim KIRCHE-IN-NOT-Kongress 2006 gesprochen hat und sehr betroffen war. Hat er auch mit Ihnen diesen Vorfall erörtert?
Ja, dieses Ereignis hat ihn tief bewegt. Er verfolgte die behördliche Aufarbeitung in der Türkei sehr genau. Er war selbst vor Ort und hat so viele Nachforschungen angestellt, wie es ihm möglich war.
Wie sah er denn, Herr Pfarrer Ries, seine eigene Situation? War er besorgt um sein Leben?
Nach außen hin hat er es eigentlich nie direkt gesagt. Aber man muss einfach sehen: Er hatte in seiner Diözese nur ca. zehn Priester. Auch auf andere wurden Anschläge verübt, die aber glimpflich ausgingen. Ich erinnere mich gut, wie er erzählte, dass einer seiner Priester mit einer Machete angegriffen wurde …
Selbst den türkischen Behörden war klar, dass er sehr gefährdet war, so dass ca. ein Jahr lang ein Polizeibeamter immer zu seinem Personenschutz abgestellt war. Er hat nie offen gesagt, dass er Angst hatte, aber er wirkte oft bedrückt und nachdenklich. Bei seinem letzten Besuch in unserer Gemeinde, das war wenige Tage vor seiner Ermordung, sagte er zu einem meiner Mitarbeiter, so ganz beiläufig – der hat es erst gar nicht verstanden –: „Ich weiß nicht was kommt, aber ich bin zu allem bereit …“.
Die Motive des Mörders sind bis heute ungeklärt. Nach Aussagen der türkischen Behörden, aber auch von vatikanischen Stellen gibt es keine Hinweise auf einen politischen oder religiösen Hintergrund. Andere Stimmen, wie die von Bischof Padoveses Amtsvorgänger, Ruggero Franceschini, dem Erzbischof von Smyrna, verweisen darauf, dass der Täter „Allahu akbar“ gerufen habe, und sie vermuten einen islamistischen Hintergrund. Es gibt sogar die Meinung, der Mörder habe ein Attentat auf Papst Benedikt XVI. verüben wollen, denn Bischof Padovese befand sich sozusagen auf dem Sprung zur Papstvisite auf Zypern, wohin ihn sein Fahrer begleitet hätte. – Wie sehen Sie diesen Fall?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich wage kein abschließendes Urteil zu fällen. Aber zweifelsohne war er eine höchst gefährdete Person. Er war unbequem, weil er nicht schwieg, sondern immer wieder bei den Behörden die Rechte der Kirche einforderte. Er hat in der Öffentlichkeit auch nicht geschwiegen, gerade in Italien und Deutschland bei seinen Interviews und Vorträgen darauf hingewiesen, in welch prekärer Situation sich die Christen in der Türkei befinden. Das hat sicherlich vielen nicht gefallen …
Was würden Sie als das geistliche Vermächtnis Ihres Freundes Luigi Padovese bezeichnen?
Vielleicht könnte man es so formulieren: Aus den tiefen Wurzeln des Christentums die Freude am Glauben weitergeben; Gemeinschaft, Freundschaft, Menschlichkeit erfahrbar werden lassen.
Der Dialog mit der muslimischen Mehrheit in der Türkei, das war ein Anliegen von Luigi Padovese. Was können denn wir als Christen hier in Deutschland tun für den Dialog mit Muslimen und für die Christen in der Türkei?
Ich glaube wirklich, dass die Methode von Bischof Luigi die richtige ist, nämlich den „Dialog des Lebens“ zu führen. Das heißt: auf die Muslime zugehen, Kontakte knüpfen, einander menschlich näherkommen. Und die allermeisten sind ja genauso normale Menschen wie wir auch, die in Frieden leben und mit uns zusammen gut auskommen wollen. Wenn man das Misstrauen überwindet und einander menschlich kennt und schätzt, dann ist vieles möglich.
Es wäre für die Christen in der Türkei sicherlich auch sehr hilfreich, wenn man den Kontakt zu ihnen weiter sucht und aufrechterhält, wenn man ihre Situation wahrnimmt und ihnen auch im Ausland eine Stimme verleiht.
Herr Pfarrer Ries, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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